die Rheinpfalz
Anke Feuchter

Schlupfloch in grauen Mauern

31. okt 1994

Herman van Veen begeisterte mit seinem Programm „Grand Hotel Deutschland“ im Mannheimer Rosengarten.




Ein Abend mit Herman van Veen ist eine Reise durch Lebenszeit. Politisches ist privat. Privates ist politisch. Der Mensch: ein ursprünglich ganzheitliches Wesen, das es sich versagt, die Gesamtheit seiner Gefühle zuzulassen und zu leben. Pragmatismus als Programm der Daseinsverwaltung. Die Rechnung geht aber nicht auf. Es bleibt Sehnsucht. Die nach dem Kind, das sich versteckt hat. Die nach dem Clown, der ungestraft auch einmal Blödsinn machen darf. Die nach Aufrichtigkeit in einer verstellten Welt. Von vielen als Naivität verleumdet, als unverbesserliche.

Die Ungeduld des Herzens nach höherer Gewalt verlangt nach einem, der es fertig bringt, sich zum Beispiel mit einer wunderschönen Stimme durch die grauen Mauern hindurchzusingen. Zeit für eine Stemschnup-penstunde. Zeit für fütterndes Konfetti, da zu Boden rieselt. Zeit für einen weißen Luftballon, der - eine robuste Seifenblase - über der Bühne schwebt. Herman van Veen bewegt sich in seinem Programm 94/95 „Grand Hotel Deutschland“, mit dem er zwei Abende im Mannheimer Rosengarten zu Gast war, vielleicht mehr denn je in jenen Seelenlandschaften, in denen sich Wolken geballt haben.
Dräuende und manchmal unheilverkündende Regenwolken aus Angst, Resignation und sporadischer Verzweiflung. Durchbrochen wird der Horizont von kleinen Schäfchenwölkchen: Freude, Zuversicht, Zuneigung. Die Päckchen werden schwerer - wer hat die Leichtigkeit geklaut? Weniger als früher katapultiert der akrobatische Mime sich selbst im wilden Spiel über die Bühne. Kraftvolle Battements der Füße enden in einem letzten matten - der Hände, knapp über dem Bühnenrand.

Er singt mehr: von den kleinen und den großen Dingen, die am Epde eins sind. Die Skins mit Messerschnitt und „Reisende im Traumabteil" der Verliebtheit sind Ausschnitte. Groteske Welt, gemeine, und manchmal auch schöne. All das geht uns etwas an.

auch wenn wir manches nicht sehen mögen und uns anderes längst nicht mehr zu fühlen trauen, weil die Gefahr für stete Zufriedenheit gar zu bedrohüch ist.
Van Veens Technik ist eine durchweg assoziative. Gerstze der Logik verlieren den Boden unter den Füßen. Die Schwerkraft des Verstandes wird unversehens außer Kraft gesetzt. Das begeistert. Es gefällt, es rührt an.
Die Schwache Stelle, die Sehnsüchte spürt er auf, weitet den Mauerriß zum Durchschlupf. Da hindurch dringen Töne und Gefühle. Töne im übrigen, die einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Charmes in dieser Aufführung dem Können der begleitenden Musiker verdanken: Erik van der Würff am Klavier und Nard Reijinders am Saxophon.

Es scheint, als stimme sie immer noch, jene Behauptung vom zärtlichen Gefühl für den, der sich einen Traum zu haben noch nicht verboten hat, der seine Fantasie noch nicht bildertot gemacht hat. Und die Träume müssen bleiben, sonst bekommt man Heimweh nach den Träumen. So einfach löst sich manchmal der Knoten, so leicht kann das Leben spielen. Kein Zweifel bleibt darüber, daß zumindest all die, die gekommen waren, es brauchen, sich von Zeit zu Zeit von sich selbst entführen zu lassen.

Sie dankten mit langem Beifall.



Anke Feuchter