Neues Deutschland
LIESEL MARKOWSKI

Hermann van Veen gastierte im Berliner Schauspielhaus

Der zärtliche Clown

28.feb 1994

Er ist bekannt, landauf landab. Seine Erfolge sind weltweit. Und doch ist er kein Star, der sich feiern läßt: Hermann van Veen. Der Niederländer aus Utrecht, wo er 1945 geboren wurde, erobert sich die Herzen des Publikums durch menschliche Güte und Phantasie. Sich in eine Welt des Miteinanders und kritischen Verstehens entführen zu lassen, macht immer wieder den Reiz der Angebote dieses vielseitigen Künstlers aus.


Was er bringt, hat artistischen und professionellen Rang -darin ist er schon so etwas wie ein Star. Schauspieler und Pantomime, Sänger und Musiker in einem, verfügt er bei seinen faszinierenden Ein-Mann-Shows über einen geradezu unerschöpflichen Fonds an Möglichkeiten. Brillante Instrumentalisten unterstützen ihn dabei: der Pianist und Komponist Erik van der Wurff, der Saxophonist, Klarinettist und Akkordeonspieler Nard Reijnders, die mit prächtigen Soli hervortraten.

Wie aktuell und unverwechselbar die Kunst Hermann van Veens bis heute geblieben ist, war bei seinem jüngsten Gastspiel im Berliner Schauspielhaus zu erleben. Wie er geliebt und verstanden wird auch: Eine Fangemeinde vorwiegend junger und sehr junger Leute füllte Ränge und Parkett des Großen Saals bis fast auf den letzten Platz. Sein umfängliches Programm-Reservoir nutzt van Veen für einen freien improvisatorischen Zugriff, was seinen Vortragsrollen den Touch des Unmittelbaren, Werkstattmäßigen gibt: Lockerheit, die Entspannung von vornherein bringt, die neugierig macht.

Von der schwarz ausgeschlagenen Bühne mit buttergelbem Vollmond, der sich auch nach rot oder orange „wendet“, mit Flügel, diversen Musikinstrumenten, Verstärkern und Lichteffekten, fühlt man sich ad hoc in eine zwiespältige Welt der Träume und der rationellen Unbestechlichkeit entführt. Zumeist ist, was Hermann van Veen zu sagen hat, von politischer Sicht motiviert. Wie im Titel „Grand Hotel“, das Deutschland meint mit seiner Vergangenheit, die noch immer gegenwärtig ist. Auch in anderen Titeln berührt politische Direktheit des Niederländers, den neuer Ausländerhaß unruhig macht.

Hermann van Veens Lieder fesseln nicht nur in den sehr eindringlichen Texten, sie bezaubern vor allem im Musikalischen. Die Nuancen seiner Stimme reichen vom harten Schrei bis zu sanfter Liebkosung. Die leisen Töne sind es, die sich einprägen: „Ich hab’ ein zärtliches Gefühl für den, der zu träumen wagt“. Eher sanft erinnert er an die Ängste in den Nazi-KZ, attackiert er heutigen Rassenwahn: „Du weißt nicht, was du siehst“. Als Reverenz an Nelson Mandela: ein altes niederländisches Weihnachtslied.

Hintergründiger Humor, Weisheit und Unterhaltung sind in den köstlichen, virtuos dargebotenen Clownerien van Veens verschmolzen: Etwa in der Parodie eines Tennis-Match-Helden (mit vorausgehendem urkomischem Striptease) oder eine umwerfende Karikatur von Live-Elektro-nik, bei der er sich selbst bis zum Massenchor steigert.


Hermann van Veen hat man zu Recht den Eulenspiegel unserer Tage genannt.



LIESEL MARKOWSKI