Erkelenzer Volkszeitung
Stephan Mohne

Tränen des Lachens und Tränen des Weinens

Herman Van Veens Gefühlsspagat im Eurogress Aachen - Das Publikum war restlos begeistert

28. Nov 1994

Aachen. Tränen lachen, Tränen weinen - nicht weniger als diesen extremen Gefühlsspagat darf das Publikum durchleben. Von einem Moment zum nächsten läßt Herman Van Veen seine Besucher in ein tiefes Wechselbad der Emotionen fallen. Der niederländische Sänger und Clown, Komponist und Geiger, Parodist und Texter versprüht seine Innenwelten, hinterläßt sein Brandzeichen - und vielleicht auch tiefe Narben.


So mag es manchem der restlos begeisterten Zuschauer bei seinen beiden Konzerten im Aachener Eurogress gegangen sein. Präsentiert von unserer Zeitung, dürfte das Veranstaltungshaus das, was sich da 'abspielte, selten erlebt haben. Denn „Begeisterung" ist eigentlich eine schamlose Untertreibung für die Reaktionen, die der Tausendsassa in seinem 25. Reisejahr wider den Zeitgeist hervorrief. Am Ende von zweieinhalb phantastischen und mitreißenden Stunden zunächst der Abgang mitten durch „sein" Publikum - Standing ovations.
Frenetisch wird Van Veen gefeiert, immer wieder öffnet sich der Vorhang, immer wieder tritt der Künstler, den Anfang der 70er Jahre Alfred Biolek zu ersten Konzerten in Deutschland überredete, ins Rampenlicht, immer wieder läßt er die Besucher mit dem Wunsch nach dem „Mehr" nicht allein. Waren es am Ende sechs, sieben, acht oder gar zehn Zugaben?

Der Mann, den allein im vergangenen Jahr 250000 Menschen auf der Bühne sahen, träumt nach eigenem Bekunden davon, ein Programm zu machen, aus dem die Menschen „glücklicher herausgehen, als sie hereingekommen sind". Diesem Ziel ist er ganz nahe. Der 49jährige Künstler beginnt sein Programm mit mehr Show und Drumherum als sonst. Licht- und Geräuscheffekte spielen bis zur Pause eine große Rolle.
Bis dahin widmet sich Van Veen den neuen Liedern und dem Gesang. In der zweiten Hälfte bricht mehr und mehr der Schalk aus ihm heraus; ein Feuerwerk der Clownerie, unterbrochen immer wieder von Nachdenklichkeiten. „Klassiker" wie „Ich hab' ein zärtliches Gefühl" (1973) fehlen natürlich auch nicht.

Kolossal witzig präsentiert er zum Beispiel ein Gesangsduett mit seinem Partner Nard Reijnders (Saxophon, Klarinette, Akkordeon). Die beiden bilden zusammen mit Erik vari der Wurff (Piano) schon seit einem Vierteljahrhundert ein unzertrennliches Trio. Kolossal offen läßt Van Veen immer wieder seine große Angst - die Angst vor dem Tod - einschwingen. Wer hat sich nicht schon oft gesagt, er müsse unbedingt noch einmal einen guten Freund besuchen, den er lange nicht gesehen hat. Immer kam etwas „ganz wichtiges" dazwischen - und auf einmal ist es zu spät.

Nach drei Stunden Herman Van Veen, nach all den Zugaben, gehen manche immer noch nicht nach Hause. Viele bleiben sitzen, die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen, die der Künstler wie eine Springfeder aufgedreht hat, beginnt direkt und vor Ort. Einige wischen sich noch die Tränen von den Wangen.

Die Tränen des Lachens und des Weinens.



Stephan Mohne