Aachener Nachrichten
Rudolf Teipel

Knallharter Romantiker

Herman van Veen in Aachen wieder einmal umjubelt

28. nov 1994




Aachen. „Den Herzriff küßten wir sternschnuppenlang heil, dann wurden wir zu Eis“ - da war er wieder am Wochenende im Aachener Eürogress: Herman van Veen, der Gratwanderer zwischen Poesie und Kitsch, zwischen Melancholie und Albernheit, zwischen Tiefsinn und Blödsinn.


Noch nie hat der niederländische Barde mit dem schütteren Haar dabei die Balance verloren, nie ist er ein Plagiat seiner selbst geworden. Auch jetzt in Aachen nicht. Dabei ist im Gegensatz zu seiner vorigen Tournee „Grandhotel Deutschland“ manches anders geworden.



Dieses Jahr ist der Revue-Charakter wieder dem eher konventionellen Konzert-Schema gewichen, sind die szenischen Elemente auf wenige Einlagen reduziert, stehen die Lieder und Chansons wieder im Vordergrund statt zu einer Art gesungenen Conference degradiert zu werden.Das tut van Veen (Bild) und dem, was er zu singen hat, ausgesprochen gut. Denn es sind diese Lieder, kunstvolle Gespinste aus schmelzenden Klängen und geradezu philosophischen Texten, die den Holländer groß, unverwechselbar und einzigartig gemacht haben.

Was nicht heißt, daß van Veen auch älteren Stücken nicht neue irritierende und schmerzhaft ironische Aspekte abzugewinnen vermag. Etwa, wenn er wirren Blicks urid schleppenden Gangs, eine Puppe mit verdrehten Gliedmaßen in der Hand, den debilen Kinderschänder mimt, um unmittelbar danach seinen Klassiker „Ich hab' ein zärtliches Gefühl“ anzustimmen. Oder wenn er einen filigranen Text über ein in Harmonie alt werdendes Ehepaar bringt, um gleich darauf zu sinnieren: „Somöcht' ich auch alt werden. Allerdings: Hoffentlich dauert das Leben nicht zu lange. Zeit ist Geld“.

Das ist typisch Herman van Veen. Er hat nie behauptet, das Leben sei nur schön oder nur schlecht. Politische oder religiöse Heilslehren sind seine Sache nicht. Er zeigt in seinen Liedern und Sketchen lediglich alle Facetten des Daseins. Ob dann unter dem Strich ein positives oder negatives Ergebnis herauskommt, muß jeder Zuhörer für sich selbst entscheiden. Es darf vermutet werden, daß van Veen selbst zu eher pessimistischen Resultaten gelangt.
Aber: er ist halt ein unverbesserlicher Romantiker, ein trauriger Clown • mit einem Hang zur blühenden Albernheit - da kann er nicht alles, inclusive sich selbst, so bitterernst nehmen. Folglich ist er so radikal romantisch, daß seine Fans geradezu knallhart mit ihren eigenen Gefühlen konfrontiert werden; oder so konsequent komisch, daß Zuhörer, die eben noch ergriffen einer Ballade lauschten, sich nun vor Lachen wiehernd auf die Schenkel klopfen.

Diese diametralen Gegensätze zu einem harmonischen Ganzen - der Welt des Herman van Veen - zusammenzufügen, das ist die große Kunst des Niederländers, die ihm so keiner nachmacht. Und auch nicht die wahrhaft virtuosen musikalischen Kabinettstückchen, die er dem Publikum mit seinen beiden langjährigen Mitstreitern, den furiosen Multi-Instrumentalisten Erik van der Wurff und Nard Reijnders, zusätzlich lief ert.

Er hatte Aachens Eürogress wieder voll im Griff, der niederländische Sänger-Philosoph. Daß sein Publikum - vom Sponti im härenen Gewände bis zur brillantenbehangenen älteren Dame - so unterschiedlich und doch so homogen ist: auch das ist eines der großen Geheimnisse des Herman van Veen.Es findet seine Entsprechung in den Brüöhen *utid Facetten der Lieder und auch der Person des großen nieder hündischen Entertainers.

Vielleicht liegt eine Erklärung in einer Liedzeile, die der Barde als stolzer Vater an die neugeborene Anne richtet, die aber auch für Herman van Veen selbst uneingeschränkt gilt:

„Die Welt ist nicht so schön. Doch Du kannst sie ein wenig schöner machen. “.



Rudolf Teipel