Pfalzischer Merkur
ELISABETH RICHTER

Charme, Schirm, Fähnchen

Herman van Veen in der Saarbrücker Kongreßhalle

28. okt 1994

Die Musikanten sind schon da und spielen, und ganz am Rand flattert ein holländisches Fähnchen aufrecht im Wind. Da kommt ein Mann mit Hut und Regenschirm, den der Wind durchgedrückt hat, auf die Bühne, er verbeugt sich vorm Publikum und vorm holländischen Fähnchen: Herman van Veen, Musiker, Liedermacher, Kabarettist, Parodist, Komiker, Unterhaltungsvirtuose, Holländer. Die Saarbrücker Kongreßhalle war voll von Fans und solchen, die es an diesem Abend wurden.


Der Mann ist nicht einzuordnen. Zweieinhalb Stunden lang widersetzt er sich dem deutschen Bedürfnis, ihn einer vorhandenen Schublade anzupassen. Er bringt ernste Lieder, über den Tod, über Freundschaft, Liebeslieder, und genau dann, wenn er einen soweit hat, daß man glaubt, verstanden zu haben (Botschaft o. ä), wischt er alles mit einem Kalauer weg. Und mit noch einem. „Aber das Leben geht weiter“, sagt er nach einem ganz traurigen Lied über eine unerwartete Todesnachricht. Kunstpause. „Hoffentlich nicht zu lang.“ Kunstpause. (Er widmet sich schon halb dem nächsten Programmpunkt). „Zeit ist Geld.“

Man lacht vor Erleichterung darüber, daß man nicht auf der Todesnachricht sitzengelassen wird. Diese Sensibilität, das Publikum nicht nur irgendwohin zu bringen, sondern dort auch wieder abzuholen, trägt ihm große Sympathien ein. Er konfrontiert, läßt aber das Publikum nicht allein. Wenn er ein Thema vorknallt wie das über die jungen Skins in „Messerschnitt“, dann berechnet er klug, daß dies kein Titel für Applaus sein kann, und lenkt geschickt mit Licht- und Toneffekten über zum nächsten Punkt.

Solche Einfühlsamkeit schafft Vertrauen. Und dies ist eins der Zaubermittel, mit denen Herman van Veen das Publikum auf seine Seite zieht. Überhaupt versäumt er es zu keinem Zeitpunkt, die Beziehung zwischen sich und den Zuschauern zu inszenieren. Wie er verschwörerisch (und ironisch zweideutig) vor der Pause in den vollen Saal flüstert: „Und in zwanzig Minuten komme ich frisch geduscht zu Ihnen“ — da hat er alle längst gepackt.

Er blödelt mit einem Mut zur Häßlichkeit, die, wieder vielfach mit Ironie gebrochen, als Grazie daherkommt. Kokett kämmt er sich die paar Locken über die sehr hohe Stirn und sagt: „Kennen Sie das Gefühl? Eigentlich wollten Sie zu Hause bleiben, aber Ihr Haar sitzt so gut!“ Die Umkehrung des Normalfalles, daß das Haar eben nicht sitzt, angewandt auf die spärlichen Strähnen eines Herrn mittleren Alters, diese Kombination von Parodie und gewolltem Eigentor, die ist umwerfend.
Auch sein „Klaviersolo“: Penibel arbeitet der Künstler mit Hilfe von Buch und Taschentucheinlage die perfekte Sitzhöhe aus (und erinnert an die Prinzessin auf der Erbse, auch so ein Seelchen). Dann geht er (eigentlich Geiger) mit Vibratofingern auf die Tasten los, donnert und rackert sich ab wie Franz Liszt, fällt erschöpft zusammen, um schließlich die Saiten per Hand anzuzupfen.
Dazu singt er „Ich bin ein Weihnachtsbaum“. Nach dieser Kette von Überraschungen wundert’s nicht mehr, daß er dahergehüpft-schwebt kommt und sich verbeugt wie ein sterbender Schwan. So lange, bis er umfällt, der halbtote Schwan.

Und überdies ist das Ganze — wesentlich mitgetragen von seinen Begleitern Erik van der Wurff (Klavier) und Nard Reijnders (Saxophon) — eine lückenlose, perfekte Show.



ELISABETH RICHTER