Rheinzeitung
Gerd Neuwirth

Immer wieder zärtliches Gefühl

Herman van Veen: Streicheleien und bittere Wahrheiten

25. nov 1994

KOBLENZ. „Tschüß“, sagt Herman, marschiert raus, und das Licht geht an. Die Leute klatschen, stehende Ovationen - und Herman kommt zurück. Immer wieder.


Bevor Herman van Veen in der Koblenzer Rhein-Mosel-Halle zum ersten, zweiten, dritten Mal zur Zugabe ansetzt, da hat er schon mehr als zwei Stunden Programm hinter sich, singt von falscher Zuneigung, grausamem Alltag, der Liebe und -vor allem - von Zärtlichkeit.

Der Holländer hat es immer noch, dieses zärtliche Gefühl, und wohl keiner kann es wie er an das Publikum weitergeben. Er steht im Lichtkegel der Scheinwerfer, mit schwarzer Weste und den offenen weißen, weiten Hemdsärmeln, und erklärt: „Holland ist im Krieg. Seit zwei Tagen bombardieren wir die Serben.“ Er schwenkt zu den 600 000 Soldaten, die auf Yperns (Belgien) Schlachtfeldern liegen und glaubt fest an die Reinkarnation: „Recycling“!

Van Veens Moral kommt ohne heuchlerische Sentimentalität, sie kommt aus dem Kopf und fährt einem in die Magengrube. Falschem Betroffenheits-Geschwafel der Unbetroffenen kommt er zuvor, weil er gleich drauf das Zwerchfell kitzelt. Perfekt plazierte Sätze und schnörkellose harte Schnitte, die wirken.

Es fällt auf, daß van Veen auf dieser Tour mehr Technik nutzt, öfter auf die Effekte von Licht und Lautstärke setzt, ohne aber seine Linie zu verlassen. Er ist ein Mann der Symbole, ersetzt das Plakat mit Fragezeichen durch Blitz und Donner. Dazu der altbekannte Komödiant und Clown, der Mimik und Gestik zelebriert und Pirouetten dreht.

Und immer wieder die Zärtlichkeit. Er singt von Menschen, nicht einfach von Existenzen. Menschen, die scheitern oder einfach nur anders sind. Von Rosa, von kindlicher Liebe und von Anne, deren allzu frühe Endstation der Sarg ist.

Mit dabei auf der Tour: van Veens langjähriger Weggefährte Erik van der Wurff am Flügel und Nard Reijnders mit Saxophon und Klarinette. Besonders mit Reijnders „klezmerte“ es zur Freude des Publikums.



Gerd Neuwirth