Schlei Bote
CHRISTOPH FORSTHOFF

Der Holländer Herman van Veen in Flensburg:

Einen Abend lang träumen

18 nov 1994

FLENSBURG. Was hat dieser Mann aus Utrecht, daß der Knirps am Bühnenrand sich die Hände wund klatscht, die löwenmähnige Blondine verklärt an seinen Lippen hängt, der alte Mann mit feucht-glänzenden Augen auch nach drei Stunden noch gebannt da sitzt? Sein Äußeres kann es nicht sein: Kaum mehr Haare auf dem Kopf, das Profil eher eigenwillig als klassisch, schlaksig der Körper statt eines wohl gestylten muskulösen Bodys, ausgeblichen die Jeans, schlabberig das Hemd. Nein, Herman van Veens Schönheit ist eine andere, viel faszinierendere, eine, die weder Falten noch Runzeln kennt: eine innere.


Sänger und Clown, Geiger und Mime läßt er uns für einen Abend lang lachen und träumen, wieder Kind sein und nimmt uns in seine Arme. Geborgenheit. Inwendig warm. Ein Menschenfreund mit einem zärtlichen Gefühl für alles Schwache. Und auch wenn der fliegende Holländer im Deutschen Haus dabei manchmal hart am Rande des Kitsches entlangsegelt, vermeidet er doch jegliches einlullende Harmoniebedürfnis: Wenn wir es uns in seinem samtweichen Gesang gerade zu bequem machen wollen, schießt er eine seiner drastischen Wendungen dazwischen, singt vom „Messerschnitt“ auf (und in) den Köpfen junger Skins. All dies, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben.

Herman van Veen hat keine Botschaft, es sei denn die: Lebt den Augenblick mit all eurer Phantasie und euren Gefühlen. So wie er es uns Vormacht: Den umgestülpten Regenschirm in der Hand, Konfetti verstreuend, singt der 49jährige Entertainer von Liebe und Leid, von Aids und Gleichgültigkeit, Sehnsüchten und Ängsten. Hüpft und segelt über die Bühne, erzählt makaber-komische Geschichten, tanzt mit seinem famosen Pianisten Erik van der Würff einen änrühreriden Walzer und trägt mit dem Klezmer-Virtuosen Nard Reijnders (Saxophon, Klarinette und Akkordeon) einen höchst amüsanten Sängerwettstreit aus.

Melancholisch und fröhlich, nachdenklich und traurig — immer aber mit dem Mut zum Sentiment und dem Sinn für den Moment. Ein Zauberer für die Seele, pn Träumer, der zumindest für einen Abend lang in uns die Hoffnung auf eine bessere, ehrlichere Welt wieder entzündet hat. Jiilic 52428 JU VerkAufi Gedruckt 1911.94 Os