Lausitzer Rundschau
Klaus Trende

Liebeslied, zuweilen geweint

Herman van Veen begeisterte in der Cottbuser Stadthalle

18. okt 1994

Unter dem blauen Spotlight treibt er zwei Pflöcke ins Gehirn der Leute - Liebe und Tod, Anfang und Ende, Eins und Alles, Kosmos und Ich. Und dazwischen pendeln all seine Lieder, reißen dir die Hornhaut von der Seele, legen die Nerven frei, schmerzen und erlösen, streicheln deine Hand und holen dich kurz vor dem zuweilen rührseligen Abflug wieder zurück in die Gegenwart.


In die Cottbuser Stadthalle, ins Konzert mit Herman van Veen. Der niederländische Entertainer, Kabarettist, Kinderbuchautor, Musiker und Sänger macht mit seiner Tournee über Toronto, Boston, New York jetzt Station in Deutschland. Ein rot-weiß-blaues Fähnchen aufm Lautsprecher, den Hut über die offene Stirn gezogen, fast wie ein Prediger - so steht er da und verneigt sich. Und das Publikum verneigt sich auch.


Van Veen ist ein Magier, wenn man die Wahrheit als magisch empfindet, ein Träumer in einer Zeit der kalkulierten Wirklichkeiten. Hart klingt sein Lied und ungeheuer zart. Vom Comicbuch über Gott ist die Rede, bevor er sich die Violine schnappt und jene Melodie aus den Saiten streicht, die in der Stille ertrinkt, Tracy Chapmans „Baby, can I hold You“ selbstvergessen ins Mikro haucht und ins offene Piano ruft: Ich bin ein Weihnachtsbaum.
Der Mann weiß, wovon er redet, wenn er Honek-ker ein Arschloch heißt und anschließend davon erzählt, daß 25 Prozent der Deutschen sich den Kaiser zurücksehnen, zu dick sind und zu blond und sich aufgeilen, wenn es brennt. „If s time for them to die“. Sein Programm ist das Wechselbad der Sinne, geht jedem Spießer mächtig aüf den Docht und macht die pseudorevolutionäre Garde nachdenklich über ihr absurdes Tun.
Denn Herman van Veen singt von dem, was noch nicht ist und niemals sein wird. Ein Mann aus Utopia. Nicht Knecht und nicht Herr, zischt er ins Mikro, und: „Ich kann mich nicht zerteilen, ins Zölibat zu enteilen, Du oder Du oder Du“...

Clowneske Nummern, Toupet or not Toupet, eine Dynamic Light Show mit einem weißen Ballon, Klassikpersiflagen, an deren Finale er die affektierten Gebärden der großen Troubadoure auf die Schippe nimmt, das öffentliche, das rivate und das geheime Leen, Heimweh nach Traurigkeit und die Wunden der Einsamkeit - nichts läßt der Sänger und Mime in seinem Spiel aus.
Auch nicht den beklemmenden Messerschnitt-Song von den geschorenen, tarngrünen Scharen erspart er den Leuten, nicht die Aufforderung in „Casablanca“, das Gute zu tun, solange das Leben währt, und nicht aufzuheben fürs Schattenreich. Nard Reijinders, ein begnadeter Saxophonist, und Erik von der Wurff am Piano begleiten dies alles trefflich.

Herman van Veen ist auch kurz vor den 50 geblieben, was er immer war: ein melancholischer Spaßmacher, fernab von allem Kitsch, ein Mahner ohne Zeigefinger, ein singender Moralist, ein politischer Musikant, reingewaschen vom Schleim aller Ideologien. Zum Schluß steht nur noch eine weiße Rose vor ihm auf der Bühne, und die fast 2000 Menschen sind ganz leise, und er singt vom^ Streiken der Dinge. Wann wird die Kamera kaputt geh’n von dem gesehenen Leid, wann dein Gesicht verbrennen, wann streiken die Dinge, wann hört dieser Horror endlich auf? Es braucht wenig Phantasie, um zu wissen, daß es um uns geht, um diese Erde und keine andere.

Das ist das einzige Lied, das der Künstler fast drei Stunden lang singt.



Klaus Trende