DILL-Post
Guntram Lenz

Herman van Veens Lieder streicheln die Seele und machen Mut zum Widerstand

14. Nov 1994

Zwei umjubelte Auftritte des holländischen Entertainers in der Siegerlandhalle

Herman van Veen ist auf seiner Lebensreise ein gutes Stück weiterge-konunen - als gefeierter Sänger fing er an, als umjubelter poetischer Clown, dem manches ein wenig kitschig und plakativ geriet, drehte er seine Runden, und nun, nach 20 und mehr Jahren auf der Bühne, scheint er die für alle Beteiligten ideale Mischung aus Musik und Theater gefunden zu haben. Zweimal trat er am Wochenende in der Siegerlandhalle auf, und dies Gastspiel wird, nach Phasen der Mittelmäßigkeit in den Achtzigern, unvergeßlich bleiben.


Wie ein Barde, der über die Marktplätze zieht, den Menschen Heil verkündend, vor Unheil warnend, betritt er die Bühne, ein vom Wind .gebeutelter 'Schirm, eine kleine Geige sind zunächst die einzigen Requisiten, und dann legt er los, erzählt kuriose Geschichten wie die von Hans Ludwig, dem vorwitzigen Jungen, der sich zum Eisbären legte und von dem nur ein Bein übrigblieb, oder vom Streichholz und der Kerze, die spätestens auf den zweiten Blick einleuchtet, und gibt ganz nebenbei Leben'shilfe, wenn er vor Ärzten warnt, deren Blumen im Wartezimmer längst tot sind und die den Puls mit dem Zeigefinger messen, oder vor Toupetträgern, die ihre Kopfbedeckung um mindestens 20 Jahre lächerlicher macht.

Aber immer noch lieber Toupet als die Nazifrisur der Kids, die dem Glatzenschneider die Bude einrennen und deren „Messerschnitt" das Indiz schlechthin für schweinische Geisteshaltüng ist und dem Figaro am liebsten das Messer ausrutschen ließe.

Bei diesem Kunze-Song hatte das Konzert den Höhepunkt erreicht, doch auch, was danach kam, die Nieder von den alten Liebenden, der Wehmutssong „Casablanca", Veens Schlapphut-Verbeugung vor dem anderen großen Hollaen-der, Friedrich und seinem über 50 Jahre alten „Wenn ich mir was. wünschen dürfte", an die sich nahtlos eine stimmungsvolle „Jiddl .mit der Fiddl"-Nummer anschloß, konnte sich hören und sehen lassen - mit einer Ausnahme.

Veens Mutation in einen Alien, bei der man am liebsten die Flucht ergriffen hätte, so zeitgeistkritisch sie auch gemeint gewesen sein mag, sollte er Performancekünstlern wie Laurie Anderson überlassen. Ein kleiner Wermutstropfen in einem Champagnerglas - am 23. und 24. November ist van Veen nochmals in Koblenz zu beklatschen.



Guntram Lenz