Siegener Zeitung

Beim Lieben und Sterben sind alle gleich

Herman van Veen ein Meister der großen und der kleinen Gesten - Heute abend zweites Gastspiel

12 nov 1994

Siegen. Toupet or not Toupet? Für Herman van Veen ist das keine Frage: „Ein Toupet macht dich um 20 Jahre lächerlicher! “ Eines mit ’ner Portion Hirn dazu, ja, das nähme er. Braucht er aber nicht, denn davon hat er genug unter dem perfekt clownesk gelichteten Haarkranz. Der 49jährige Holländer ist ein quicklebendiges Multitalent, Chansonier, Schauspieler, Entertainer, ein Meister der großen und der kleinen Gesten. Mit einem Schnipsel Papier, einem Tütchen Konfetti, einem schnöden Fingerzeig stellte er die Welt auf den Kopf. Oder sich selbst. Oder uns.


Van Veen ist wieder „on the road“. Nach zweieinhalb langen Jahren war der Vater von Alfred Jodocus Kwak gestern wieder in Siegen. Gut besucht war die Siegerlandhalle schon, aber nicht pickepacke-voll, wie gewohnt. Der Grund: Heute abend, Punkt 20 Uhr, öffnet sich der Vorhang für das zweite Gastspiel Herman van Veens. Wer zu spät kommt, den bestraft zwar nicht die Geschichte, aber der verpaßt einiges.

Faszinierend ist immer wieder, wie der Schlaks aus dem Land der Polder und Kaaskunst sein Programm mischt. Neben purem Nonsens liefert er eine oft bittersüße Prise Ironie, singt mit ausdrucksstarker Stimme alte und neue Lieder über die Liebe, das Leben und den Tod, oder nimmt den Zeitgeist auf die Schippe. Aus der Reinkar-nation wird bei van Veen Recycling, und wenn aus seinem Mund ein Alien mit der Siegener Bevölkerung Kontakt aufnehmen will, dann ahnen die Dilldappen, was die Stunde geschlagen hat.

Der Holländer weiß aber nicht nur, daß richtige Männer ihr Geschäft im Stehen verrichten und Herman(n) heißen. Der schwere Stiefeltritt der „tamgrünen Scharen“ ist natürlich auch in unserem Nachbarland nicht ungehört verhallt. Van Veen wäre nicht van Veen, wenn er auf das in seiner Heimat mit Argusaugen beachtete Treiben der neuen Rechten nicht mit erhobenem Zeigefinger oder gar der in Verse geschmiedeten Moralindosis deutscher Kollegen reagieren würde.
„Messerschnitt“ heißt sein Kommentar zu Skins und Wiking-Jugend, geschildert aus der Sicht eines Friseurs, dem di^ strammen Jungs die Bude einrennen: „Die Kinder wollen alle nur noch Messerschnitt.“ Wieso dem Figaro noch nicht das Messer ausgerutscht ist? „Es stampfen die forschen Knochen ... .sie kommen in tamgrünen Scharen.“

Musikalisch unterstützt wird Hermann van Veen von seinen bewährten Mitstreitern Erik van der Wurff am Klavier und Nard Reijnders (Saxophon, Klarinette und Akkordeon). Ein Höhepunkt war der Wettstreit der Tenöre zwischen van Veen und Reijnders, der schon beim Kampf um das größere Schweißtuch begann. In der ersten Zugabe zersägte Herman van Veen in einer angeschrägten Version den Sinatra-Klassi-ker „My Way“, sezierte die Posen des Stars bis zur schieren Lächerlichkeit. Beim Lieben und Sterben sind schließlich alle gleich.

Das Siegener Publikum dankte für einen schönen Abend zwischen Nonsens und Nachdenklichkeit und oft kammermusikalischen Klängen mit prasselndem Beifall, konditionsstarkem Fußgetrampel und „Standing ovations“. Vielleicht gibt es heute abend ja noch eine Steigerung.

Einfach wird’s allerdings nicht.



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