Herman van Veen
SH am Sonntag
Die Fahne
23 augustus2009

Heute Nacht spät zu Bett gegangen. Halb vier. Kein Mensch auf der Straße. Die Gläser leer. Wir haben über die Arbeit geredet, über die Familienvorstellung, die wir miteinander erschaffen,

Ein fröhliches Spektakel über die Gräuel vom Krieg. Wir plauderten darüber, warum etwas und warum etwas nicht gesagt wird. Muss es anders erzählt werden? Lustiger? Den tiefen Ernst durch ein Lächeln erreichen? Oder soll es spannender, verhüllter sein? Müssten der oder die noch das tun oder eben gerade nicht? Fragen über Fragen. Es wirken an diesem Musiktheaterprojekt in Detmold 40 Menschen mit.

Wir beschließen, nichts zu beschließen. Werden sehen, was passiert.

Nach Ablauf eines try out kamen zwei Mädchen, 10 und 12, mit Bitte um ein Autogramm zu mir. Ich fragte sie, wie sie es fanden? „War es zum Lachen?" „Ja" sagten beide. „Was habt ihr dann lustig gefunden?" „Das mit der Wespe."

Es flog während der Vorstellung eine Wespe zu mir. Durch meinen Ärmel unter meine Achsel. Wir spielen Open Air. Wollte das Insekt heraus tanzen, weil meine Hände auf der Geige saßen. Sprang notgedrungen so lange wie ein Böckchen über die Bühne, bis dasTier durch den Halskragen meines Hemdes wieder in den Wald flog.

Das von dem Stillstehen fanden sie auch cool. Ab und an friere ich im Laufe der Geschichte die Zeit ein. Das ist ganz einfach für einen Märchenerzähler. Die Akteure stehen dann in ihrer letzten Haltung totenstill.
Manchmal minutenlang, Auch der Aufzug der Clowns, die Jannen und Keesen, wie dieYankees einst hießen, fanden sie „geil" Die wollen in der Geschichte das Denkmal von Arminius umhauen, weil derArminius ein deutscher Held ist.Toll fanden die beiden Mädchen auch noch die abstiebende Kreide von meinem Geigenbogen.

„Was war für euch traurig?" „Dass der Vater, der in der Geschichte aus dem Krieg zurückkommt, nicht mehr weiß, wer er ist, dass er nicht mal mehr bis Drei zählen kann. Und dass er seineTochterAnna nicht mehr erkennt."
Und die Geigen fanden sie schön. Das ältere Mädchen von beiden spielt selbst auch Geige. Und die Gitarre fand das andere Mädchen prächtig, denn sie nimmt Gitarrenunterricht. Auf zwei Luftballons durfte ich Autogramme schreiben. „Ach ja',' sagte das jüngere Mädchen noch, „das war noch toller als Alfred Jodocus Kwak und du singst ihn echt schöner als auf CD."

„Oh ja, und noch was! Was bedeutete das mit der roten Fahne mit weißem Kreis und dem schwarzen Zeichen?"
In der Vorstellung reißt die Hauptdarstellerin eine Nazifahne von der Fassade.

„Komm" sagte das ältere Mädchen, während sie ihre Schwester an die Hand nahm, „das erzähl' ich dir morgen."
Das letzte, was ich dachte, bevor ich in den Schlaf fiel.

Das werde ich morgen erzählen. Gute Nacht.



Herman van Veen (64) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.