STEFAN DERSCHUM schreef 11 sept 2007 in de Lippische LandesZeitung
Eine neue Wahrheit
Detmold.
Nein, die Über-einstimmung sei Zufall. Her-mann, das Denkmal, unter-scheidet sich im Klang des Namens zwar nicht von Herman, dem Sänger-Poeten, dem Schriftsteller, dem Friedensbotschafter, der zum Varus-Jubiläum eine Musiktheaterproduktion schaffen und am Fuße der Statue inszenieren wird. "Doch das ist Zufall", erklärte Van Veen in der Alten Schule am Wall der versammelten Presse und tischte ihr sodann eine kleine Geschichte auf.
"Van Veen", sagt er mit einer Stimme, die überraschend unverändert von der Lyrik seiner Lieder in die Stellungnahmen und Erklärungen einer Pressekonferenz zu einer der zentralen Veranstaltungen des Varus-Jahres hinüberreicht, "das heißt ,Vom Moor'." Die Schlacht habe damals ja wohl auch im Moor stattgefunden, plaudert er weiter, "und das ist mehr als ein Zufall". Sagt es, macht eine kurze Pause, und dann grinst sich der Geschichtenerzähler in Herman van Veen eins.
Dass die Kooperation zwischen den Organisatoren des Varus-Jubiläums und dem Niederländer weder auf zufällige noch schicksalshafte Parallelen von Namen und Ereignissen zu-rückzurühren ist, hat der leichte Prolog deutlich gemacht. Man habe nach Menschen und Konzepten gesucht, um nicht nur an die Schlacht zu erinnern, sondern um ein Rahmenprogramm für Kinder und Jugendliche im Sinne Europas zu realisieren, wird Detmolds Bürgermeister Rainer Heller etwas konkreter -über das letztendliche Zusammenkommen mit dem Künstler bleibt die Information indes si-byllinisch: "Man kennt Leute,
und die kennen Leute..." Ir-gendwann in der einen Stunde vor aufzeichnenden Filmkameras und Digitalrecordern, im Klackern hochschlagender Kameraspiegel und synchroner Lichtblitze wird Herman van Veen über das Paradoxon des Wissens sinnieren: "Je mehr man weiß, desto weniger weiß man." Das trifft auch auf die meisten der sechzig Minuten in der Alten Schule am Wall zu, die kaum Zeit von harten Fakten, Fakten, Fakten zu der Produktion Herman van Veens und seiner künstlerischen Partnerin Edith Leerkes sind. Die Pressereihen hören viel, aber wissen sie am Ende mehr?
Herman van Veens Sätze bewegen sich in Kategorien gesell-schaftlicher Ziele, die er poetisch, melancholisch, humorvoll, clownesk oder ernst formuliert. Doch stets optimistisch. Real-Kritiker könnten unterstellen, er sei ein Träumer. Na und? Der 62-Jährige hat viel.gelesen über den Varus-Mythos.
Wissen angehäuft, Wissen abgebaut - denn hinter jeder Antwort lauerte ein neues Warum:
"Warum steht das Denkmal da? Dann fange ich an zu lesen. Und wieder: Warum...?" Die Frage nach dem Warum besitze jedoch eine Legitimation.
Warum sitzt Herman van Veen an diesem Montag in Detmold vor der Presse? Nun, er kreiert zusammen mit Edith Leerkes eine Musiktheaterproduktion für 2009. Die Rahmengeschichte ist fertig. Die Lieder
sind bislang nicht geschrieben, aber es existiert bereits ein Motiv, komponiert von seiner nie-derländischen Begleiterin - "es ist ja noch ein bisschen Zeit".
Die Rahmengeschichte ist fertig
Herman van Veen schreibt in Niederländisch und lässt die Texte von Sabine Christiane Richter ins Deutsche übersetzen. 10 Aufführungen mit 10 Musikanten, 12 Tänzern und 10 Schauspielern soll es 2000 Jahre nach der Varus-Schlacht im Wald um das Hermannsdenkmal herum geben. Auch eine DVD, eine CD und ein Kinderbuch der Geschichte werden veröffentlicht, die den Arbeitstitel "Op een dag in September" trägt. Das Ensemble steht noch nicht, ein öffentliches Casting mit möglichst vielen Teilnehmern aus der Region wäre für ihn das Schönste - "ich kann es nämlich nicht selbst spielen". Er schmunzelt. Ende der reinen In-formation.
Die konkrete Geschichte von "Op een dag in September" bleibt unerzählt, abends wird er bei einer Veranstaltung im Hangar 21 mehr preisgeben. Jetzt jedoch spricht Herman van Veen über seine Gedanken, Motive und Ziele. Ihn habe der Friedensaspekt interessiert, sagt der UNICEF-Botschafter: "Wie kann man das Standbild des Hermanns in diesem Land mit dieser Geschichte als Friedens-symbol gewinnen?" Er stellt weitere Fragen, die Kameras klackern: "Was hat stattgefunden, und was hätte stattfinden sollen? Es ist ein interessantes Land und Wesen, das dort steht. Woran erinnert es uns?"
Herman van Veen kennt die dramaturgische Losung, und die sei "fantastisch". Doch an
diesem Tag im September verrät er sie nicht. Nur so viel: "Die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen." Es entstünde eine neue Wahrheit. Der Hermann sei mehr als eine Statue. Herman van Veen beschreibt das Hermannsdenkmal, indem er sich der mannigfaltigen Bedeutung der Freiheitsstatue bedient und sagt: "So groß wie ein Baum - mit Wurzeln, die man nicht sieht." Außerdem habe das Denkmal Adolf Hitler irritiert -mit seiner Größe und Härte. Offenbar eine weitere, verlockende Motivation für den Niederländer, dem Denkmal eine neue Rolle zuzuweisen: "Man muss erklären, dass man Dinge auch in positives Licht stellen kann."
Wie, erzählt Herman van Veen nicht. Obwohl er viel erzählt. Dass man die Welt nicht verändern könne, aber "vielleicht ein, zwei Menschen". Derartige Sätze drohen anderweitig oft in ihrer lebensanschaulichen Allge-meingültigkeit in nervige Belie-bigkeit umzuschlagen. Nicht an diesem Tag an diesem Ort bei diesem Mann in Schwarz.
Keine Furcht vor Kritik aus der Heimat
Vielleicht liegt es an seiner sanften und dennoch klaren Stimme. Vielleicht, weil er als Niederländer einen urgermanischen Mythos herausfordert und mögliche Kritik in seiner Heimat nicht fürchtet: "Ich rechne nicht damit. Und wenn -picobello. Soll man Wagner nicht singen, weil Adolf ihn geliebt hat?"
Herman van Veen hat auch noch gesagt: "Wir müssen reali-sieren, dass wir das Meiste nicht wissen." An diesem Punkt beginne Wissen. So gesehen - ein guter Start für einen Tag im September.