Karsten Krogmann schrieb am 28.01.2006 in der Nordwest-Zeitung
Wo Träume noch aus dem Hut gezaubert werden
Herman van Veen begeistert in Oldenburgs Weser-Ems-Halle - Von lustig bis traurig
OLDENBURG
Der Vorhang ist noch zu, aber da spielt schon jemand tüchtig Klavier. Der Unsichtbare rast die Tastatur entlang, seine Finger springen todesmutig auf und ab und greifen Akkorde, an die sich nur ein Schlangenmensch wagen würde. Dann geht der Vorhang auf, und da sitzt Herman van Veen.
Das Publikum in der voll besetzten Weser-Ems-Halle jubelt, van Veen zaubert zum Dank einen richtigen Pianisten aus dem Hut. Der heißt Erik van der Wurff und spielt schon seit 43 Jahren für ihn. "Damals", sagt der Chef, "gehörte Oldenburg noch zu Holland." Oh je, rechnet er nach: 25-mal waren die beiden seither in Oldenburg, 40 Prozent ihrer Zuschauer müssten mittlerweile verstorben sein. "Sie haben Glück gehabt!"
Herman van Veen langt zur Geige. Der Vorhang bleibt auf, beim Geigespielen dürfen ihm alle zuschauen. Jetzt sind sie alle da, Edith Leerkes mit ihrer Gitarre, Jannemien Cnossen mit der Geige, Karel Bredenhorst am Cello. Zigeunerjazz steppt aus den Lautsprechern, Finger fliegen, die Bögen zucken, Stopp.
"Habe ich erzählt", unterbricht Herman van Veen das Lied, "dass ich Opa geworden bin?" Da gratuliert das Publikum artig, und der Sänger verrät, dass es sich um einen Jungen handelt; nächste Woche werde er sechs. Weiter geht's.
60 Jahre alt ist der Holländer. Da steht er mit Glatze, weißem Haarkranz, später klebt er sich ein rotes Rosenblatt auf die Nase. Manchmal tanzt er wie ein Hampelmann, wirft Pingpongbälle in die Luft, erzählt Witze. "Wie öffnet ein Deutscher eine Auster?", fragt er. Antwort: Er schreit sie an, "aufmachen!!!"
Oft sitzt er aber auch nur still an seinem Tisch und lauscht verträumt den Musikern. Wippt mit, lächelt, klatscht Beifall. Singt wunderbare Liebeslieder und schockiert sein Publikum mit dem wahren Leben: Er trägt traurige Zeilen von Selma vor, die mit 18 Jahren 1942 im Arbeitslager umkam. Singt von toten Kindern. Grämt sich wegen des Krieges im Irak.
Van Veen sieht aus wie ein Clown, funktioniert aber umgekehrt: Im Zirkus hat der Clown eine Träne im Auge, und das Publikum lacht sich scheckig. Bei van Veen lacht sich der Sänger scheckig, und das Publikum hat Tränen im Auge. Zugaben kann es trotzdem nicht genug kriegen.
Der Vorhang ist zu, aber da spielt noch jemand Klavier. Es ist das schwierige Lied vom Anfang. Der Vorhang geht auf, die Musik läuft weiter, und da sitzt Herman van Veen vor dem geschlossenen Klavierdeckel. Reingelegt!
Herman van Veen singt heute ab 20 Uhr in der Nordseehalle Emden.