Margitta Ulbricht schrieb am 11.02.2006 in der WAZ - Mülheim


Trauriger Clown kommen die Jahre


Herman van Veen füllte die Stadthalle. Tour zu seinem 60. Geburtstag.
Nach dem Konzert gab's stehende Ovationen für den niederländischen Liedermacher und seine Band



Es gibt wohl nur einen 60 Jährigen, der mit dem Hintern wackelnd im Entengang über die Bühne watscheln darf, und dafür auch noch Bravo Rufe kassiert: Quietschfidel und fit holte Herman van Veen seine Fans in der mit rund 950 Besuchern fast vollen Stadthalle von den Sitzen. Nach einigen Zugaben gab's stehende Ovationen für den niederländischen Liedermacher.
Angegraute Bärte und Zöpfe doch meist bunt geblieben sind die Schals. Seine aus der ganzen , Region angereiste Fangemeinde ist mit Herman van Veen älter geworden. Da runter sind aber auch einige junge Gesichter, die erwartungsvoll auf die Bühne blicken. Mit einem Schlag steht der hünenhafte Mann mit den großen Händen da, packt die Geige aus, die er im Kontrabass versteckt hat. Damals hat er sie im Osten Deutschlands gegen Lieder eingetauscht und an der Grenze gesagt: "Mein Kontrabass ist schwanger, ihr könnt das ruhig kontrollieren?" Versteckt sind auch die politischen Untertöne, sich leise, aber zielgenau durchs Programm "Hut ab" ziehen.

Den ganzen Abend über rutschen ihm die etwas zu kurzen, Hosenbeine hoch und manchmal krempelt er sie sogar selbst bis übers Knie. Dann knöpft er noch sein blaues Hemd auf, zieht den schwarzen Slip aus dem Hosenbund heraus bis an die weiße Brust. "Was, Holländer, sollen nicht sexy sein?", kokettiert der Sänger auch ein bisschen mit dem Alter. Das wird nach der Pause prompt mit einer Rose samt Liebeserklärung quittiert: "Ich finnde euch sexy."

Leicht wie Konfetti zaubert van Veen viele Tischtennisbälle aus seinem Hut hervor, lässt sie wie Perlen über die Bühne rollen. Aber mal alle Clownereien und Zaubertricks beiseite: Was harmlos mit Ping Pong und Ying Yang beginnt das geht plötzlich bitterböse in die Tiefe. In Liedern über Vertreibung und Arbeitslager schlägt er "Brücken aus Kummer" , singt über Huren an der Straße und hungernde Kinder, Krieg im Irak den jüdischen Onkel oder die Schwester, die keine Geige spielt.

Dass sie wohl mehr als eine Geige spielen können, zeigen die Musikerinnen und Musiker der Band in Soli, wofür sie reichlich Applaus einheimsen.

Derweil streut Herman van Veen seine Poesie als funkelnder Glitter ins Publikum, greift zur Geige und entlockt ihr jene Mischung sehnsuchtsvoller Klänge gepaart mit unendlicher Melancholie. Getragen und pathetisch. "Nee, wat isset schön", seufzt eine Frau in der Pause. Und bei einer anderen fließen die Tränen nur so vor Rührung.

Mit einer neuen Packung Papiertaschentücher geht's in die zweite Runde. Da dreht Herman van Veen noch mal richtig auf, spielt den Harlekin, der im Herzen jung geblieben ist wie am Anfang. 5000 Vorstellungen später gibt der 60 Jährige wie immer seine Zugaben. Er selbst wünscht sich nur eine Zugabe: 40 Jahre.


"Mein Kontrabass ist schwanger, ihr könnt ruhig kontrollieren!"