Rainer Langholz schreef 28 augustus in Kieler Nachrichten


Momente voller Magie

Neumünster –Achthunderttausend holländische Campingfanatiker gegen einen Bus voller jodelnder Rosenheimer – Herman van Veen, der Niederländer mit der immensen Zahl deutscher Fans, scheut keinen Vergleich, um zu beweisen, dass nichts vergleichbar ist. Mit Herman van Veen in Symphony hatte er seinen Festivalauftritt in der Holstenhalle Neumünster. Herman van Veen pur: Der mittlerweile über Sechzigjährige intoniert eine Sinfonie des Lachens und Schmunzelns, des Nachdenkens und Überwältigtseins, der musikalischen Glanzlichter, der instrumentalen Späße. Ein Experiment, wie er sagt, drei Tage Proben seines kleinen Ensembles mit dem großen Orchester.

Herman van Veen hat nichts verlernt, er ist ein wenig weniger clownesk als ehedem, auch wenn er seine Späße mit Musikern und Publikum treibt – die erste Violinistin schien es manchmal vor Lachen nicht auf ihrem Stuhl zu halten. Doch es sind die urplötzlichen Seitenhiebe auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, auf die Fehler und Fehlentwicklungen, die so manches Lachen im Halse ersticken lassen, die den ernsten Zauber ausmachen. Wenn das Publikum ganz still wird, nicht applaudieren kann – Betroffenheit. Doch es ist die Liebe zu den Menschen, zu den nächsten und den fernen, die van Veens Klammer all seines Musizierens und Textens in sanfter Radikalität ist.

Das Orchester – die NDR Radio Philharmonie aus Hannover, ein wunderbares Ensemble – bietet dafür einen Rahmen magischer Momente, einfühlsam arrangiert und dirigiert von Hermans musikalischem Wegbegleiter seit 43 Jahren, Erik van der Wurff, brillant am Pult wie am Flügel. Gitarristin Edith Leerke verzaubert mit makellosem Gitarrenspiel und sorgt gemeinsam mit Herman van Veen für die berührendsten Momente: Vertonungen von Gedichten von Selma Meerbaum-Eisinger, dem jüdischen Mädchen, das 1942 im Alter von nur 18 Jahren in einem NS-Arbeitslager umgebracht wurde. Magie, die unvergesslich bleibt, ein Orchester, das dazu mit seinem Spiel wahrlich bewegt. Da greift der Holländer dann selbst zur Violine, spielt mit "jiddischem Feeling", um die Saiten bald darauf zur gruselig-knarzenden Kinderzimmertür umzufunktionieren. Herman, der Multiinstrumentalist: Gitarre, Trommel, Tamburine, Piano, die eigenen Finger als Panflöte, Kontrabass – nun ja, der diente mehr als kurzfristiges Sitzmöbel.

Keine Hits! Nur einen: Brels Lied der alten Liebenden (Ich lieb Dich noch"), ganz klar, ganz sanft zu Edith Leerkes Gitarrenkunst.

Das Publikum: Verzaubert, wie stets bei einem Konzert des Holländers.

Herman van Veen: Unvergleichlich.



Von Rainer Langholz

Kieler Nachrichten vom 28.08.2006