Steffen Radlmaier schrieb am 26.11.2001 in den Nürnberger Nachrichten

Liebe in Zeiten des Terrors

Ein Clown auf der Suche nach Wahrheit: Herman van Veen in der Nürnberger Meistersingerhalle



Wenn es draußen kalt und ungemütlich ist, wird es Zeit, sich innerlich aufzuwärmen. Weihnachten steht vor der Tür, und Herman heißt die Alternative für alle, die nicht mehr an den Nikolaus glauben. Statt in einen Sack mit Nuss und Mandelkern greift er in die musikalische Wundertüte und verwandelt sein hingerissenes Publikum mir nichts, dir nichts in eine staunende Kinderschar Seine Tricks funktionieren ohne Netz und doppelten Boden, er zaubert nur mit Stimme, Sprache und Musik: Herman van Veen ist und bleibt ein Phänomen, stets der Alte und immer wieder anders.

In der vollbesetzten Nürnberger Meistersingerhalle zeigte der Clown Anfüge von Altersweisheit: Er blickt dem Tod ins Auge und dreht ihm eine lange Nase. Sein Ein Mann?Welttheater handelt; von nichts Geringerem als den Dingen des Lebens und der unerträglichen Leichtigkeit des Seins. Gegenüber den Philosophen hat der Sänger dabei einen entscheidenden Vorteil ? er kann singen. "Die Wahrheit ist viel besser zu begreifen, wenn sie klingt", heißt es im aktuellen Titelsong "Was ich dir singen wollte".

Das Programm des hinreißenden Holländers ist melancholischer geworden und konzertierter: Neben seinem alten Spielgefährten Erik van der Wurff stehen jetzt junge Saiten-Virtuosen auf der Bühne und sorgen für Drive und Dynamik. Ein Hörerlebnis. Die Gitarristin Edith Leerkes, die Geigerin Jann, der Kontrabassist Thomas Dirks und die Multi?Instrumentalistin Wieke Garcia wechseln wunderbar mühelos von der Kammermusik zum Klezmer, vom Flamenco zum Tango, vom Chanson zum Fado. Und wenn's sein muss, spielt Herman van Veen ganz allein große Oper.
Statt eines roten Fadens im Programm gibt es die rote Clownsnase, und selbst die muss man sich dazudenken. Keiner beantwortet die Frage nach dem Unsinn des Lebens so vieldeutig einleuchtend wie Herman van Veen, kaum einer jongliert so gekonnt mit dem Erhabenen und dem Komischen wie er. Wenn er nicht mehr weiter weiß, erzählt er einen blöden Witz. Wenn es allzu sentimental zu werden droht, schneidet er Grimassen. Lachen statt verzweifeln, heißt die Botschaft. Und selbst wenn er von Magersucht, Depressionen, Liebesleid, Krieg, zerstreuten Schutzengeln oder vertanen Chancen singt, klingen seine Lieder nie trostlos. "Die Lieder, die ich singen, sind kein Fingerabdruck meines Lebens. Aber sie sind nie Fiktion", sagt er.

Die begeisterten Zuhörer spüren instinktiv: Hier meint es einer ernst, auch wenn er Spaß macht. Und wer könnte schon einem Hanswurst aus Holland, böse sein? Selbst wenn er den Papst beleidigt, Unterhosen als Kopfbedeckung trägt, den lieben Gott keinen guten Mann sein lässt oder das Publikum voll Wasser spritzt. Solange sich das Wasser in Silberregen verwandelt, ist. alles gut.

Herman van Veen ist ein großartiger Sänger und Geschichtenerzähler, das Publikum braucht ihn als Gefühlsverstärker und Mutmacher. Gerade in gefährlichen Zeiten wie diesen.



Steffen Radlmaier Aktuelle CD. Herman van Veen, "Was ich dir singen wollte" (Polydor). Weitere Konzerttermine: Bamberg (22.2.) und Regensburg (23.2.); Informationen im Internet unterwww.he.rmanvanveen.com