Elisabeth Richter schrieb am 26.02.01 in den Potsdamer Neusten Nachrichten
Der wohl überlegte Griff ins schüttere Haar
Herman van Veen im ausverkauften Potsdamer Nikolaisaal
Kaum denkt man, ihn zu
haben, ist bei van Veen
schon alles anders
Der Niederländer Herman van Veen ist einer der ganz Großen unter den Sängern,
Musikern, Dichtem, Komikern. Sein Auftritt im Nikolaisaal war seit Wochen
ausverkauft. Aus gutem Grund: Er ist einer, der ständig aufs Neue meint man
hätte ihn: seine Botschaft, seine Mar-kenzeichen, aber schon schlägt er einem
ein Schnippchen. Ätsch! Es ist alles anders, als ihr glaubt. Da hat er eben noch
ein leises melancholisches Lied über das Abschiednehmen und Sterben gesungen,
und im nächsten Moment streckt er in Verführerpose seinem Publikum den blanken
Hintern entgegen und wirft über die Schulter verruchte Blicke. Legen wir ihn
zumindest auf eins fest: Er ist ein Virtuose. Ein Virtuose der Geige, des Gesangs,
der Körperbeherrschung, des Wortes, der Unterhaltung.
Wenn bisher noch keine Virtuosität im Berechnen des richtigen Zeitpunkts
bekannt geworden ist, dann sollte man Herman van Veen als deren Erfinder feiern.
Denn das Frappierende ist der Rhythmus seiner Show. Was tut man mit Lücken zwischen den Programmnummern? Wie führt man
angerissene Themen weiter? Bei anderen Liedermachern knirscht es da manchmal
im Gebälk, bei Herman van Veen nie. Er ist der Meister der Übergänge, man nimmt
sie gar nicht als solche wahr, sie wirken wie eigenständige Programmteile, auch
wenn sie nur aus einem wohlüberlegten Griff ins schüttere Haar bestehen.
Er besingt das Leben, die Musik, Abschiede, Außenseiter, Gescheiterte,
Allerliebste, Komisches und Trauriges, und allen Liedern eigen ist dass man
beim Zuhören das Gefühl hat, mitgemeint und mitgeliebt zu sein. Das Motto
seiner diesjährigen Deutschland Tournee heißt auch sehr passend:
"Was ich dir singen wollte", Betonung auf "dir". Er singt nicht nur
(oder tanzt oder geigt oder albert herum), sondern liest auch eigene
Texte vor. So las er eine sehr anrührende Kindheitserinnerung, wie
er als Achtjähriger zum ersten Mal wie die Erwachsenen mit seinem Vater
Ins Badehaus zum Duschen ging, und man lauschte diesem Text mit derselben
Aufmerksamkeit und Gespanntheit wie seinen Liedern.
Herman van Veen gibt alles, bis zum Umfallen. Seine Opern-Parodie mit
Sopran- und Tenorarie „Er hat mich/sie - erstochen" brachte das Publikum
zum jubeln, und er steigerte sich noch als „Chor" mit „Er hat sie - hat sie - hat sie - erstohohoho - stohohoho -erstohohohohohochen!". Und dann stelzt er als „Bariton", gebläht von der eigenen Bedeutsamkeit über die Bühne, rangiert seine spärlichen Locken, zwirbelt seine Achselhaare in Form und donnert ein einziges Wort: "Warum!"
Er wird dieses Jahr 56 Jahre alt er hat 115 CDs aufgenommen
und unzählige Preise bekommen. Das Leben ist etwas Ablaufendes",
sagt er mit leicht beklommenem Unterton. Er singt mehr Melancholisches
als früher, aber seine Lieder und Texte vom Abschiednehmen haben nichts
Selbstmitleidiges und es gelingt ihm jedes Mal, sein Publikum durch
kleine Kaspereien aus etwaiger Betroffenheit heraus zu holen. Nach
einem "Telefongespräch mit der Mutter" zum Beispiel klappt er das Handy
zusammen und sagt beiläufig: „Seltsam, jetzt ist sie schon ein halbes
Jahr tot und ruft immer noch an."
Einen großen Anteil an seiner Show tragen
seine jungen Musiker. Aus alten Zeiten ist nur noch der
Pianist und Komponist Erik van der Wurff dabei, hinzugekommen
ist ein junges Ensemble: Edith Leerkes (Gitarre), Jannemie
Cnossen (Geige/Gesang), Maria-Paula Majoor (Geige), Thomas Dirks
(Kontrabass) und Wieke Garcia (Harfe/Percussion/Gesang),
alles studierte Musiker wie Herman van Veen selbst. Sie
sind über das Begleiten hinaus Teil des Spielchens auf der
Bühne, so beim Fechtduell mit Geigenbögen, bis das Kolophonium
staubt oder wenn Herman van Veen mit Wieke Garcia um die Wette
trommelt und ihr dann unvermittelt wie ein sportlicher Vertreter die Hand reicht.
Eins kann er ja nicht lassen: Irgendwann lässt er die Hose runter.
Müßig, über die Gründe zu spekulieren, ob es nun Eitelkeit ist - der
Mann ist bekennender Großvater und sieht auch so aus - oder Ehrlichkeit,
egal. Er traut sich was! Er fummelt am Hosenschlitz und rupft eib Scharmhaar
aus, verschüttelt es mit einem Barthaar des Pianisten und einem
Haupthaar der schönen Trommlerin und zaubert eine Babypuppe hervor.
Das war nur der Anfang. Bald schon liegt ihm die Hosen zu Füßen und
er sieht aus wie ein kleines Kind, das gerade vom Töpfchen kommt.
Dann wird er auch noch seine Pobacken zeigen. Ein Manöver auf Messers
Schneide, aber er rutscht nicht ab: Das Publikum und er sind bereits
mitten in einer heißen Liebesaffäre. Dafür hat er hart gearbeitet. Nach drei
Stunden lückenloserem brillantem Programm und sechs (oder sieben?) Zugaben
verließ er - geigend - die Bühne
Eilsabeth Richter
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