Birgit Grimm schrieb am 24.10.2005 in der Sächsische Zeitung - Dresden
Lasst es Pingpongbälle regnen!
Konzert. Herman van Veen gastierte mit seinen wunderbaren Musikern im Dresdner Kulturpalast.
Dieser Herbst ist irgendwie anders. Schon neigt sich der Oktober zum Ende, und noch ist es so warm draußen. Und dann regnet es auch noch weiße Tischtennisbälle. "Das mit den Pingpongbällen verstehe ich auch nicht", sagt Herman van Veen und gibt sich völlig unschuldig, nachdem er zwei Stunden durch 333 oder 3 333 oder weiß der Geier wie viele Plastikmurmeln getapst und gewatschelt, gehüpft und stolziert, getänzelt und gesteppt ist.
Irgendwann vor vielen Jahren hat der holländische Entertainer wohl einmal auf der Bühne mit zwei Tischtennisbällen jongliert und sie nach dem Konzert in der Garderobe liegen gelassen. Am nächsten Tag, so behauptet er, hätten drei Bälle dort gelegen.
Was mögen die Pingpongbälle in den mehr als vierzig Jahren, die van Veen auf der Bühne steht, wohl getrieben haben? Sie haben sich vermehrt, und zwar drastisch. Und nun kullern sie auf seiner aktuellen Tour, die ihn am Wochenende zu zwei Konzerten in den Dresdner Kulturpalast führte, Abend für Abend aus sechs Zylinderhüten und fallen bei einer der nicht enden wollenden Zugaben in Scharen vom Himmel.
Musiker von Welt
Viel mehr an Theater, viel mehr an Bühnendekoration braucht van Veen auf seiner "Hut ab!"-Tour nicht. Er liest aus einem staubigen Buch, weil er als 60-Jähriger angeblich Probleme mit dem Auswendiglernen hat. Außerdem entblößt er Brust und Waden, um zu zeigen, dass Holländer auch im hohen Alter noch sexy sind. Die Rose, die er daraufhin prompt von einer Konzertbesucherin überreicht bekommt, verteilt er später an seine Musiker und pappt sich selbst ein Blütenblatt auf die Nase. Dazu balanciert er sechs Hüte übereinander auf dem Kopf, der Clown, der Entertainer und Kabarettist. Witzig ist er und lässig, manchmal derb, meistens frech. Oft überraschend und messerscharf sezierend, dabei immer Wirkungstreffer erzielend beim Publikum, das herzlich lacht, erschrocken verstummt oder betroffen schweigt.
Hermans Eltern kommen häufig vor an diesem Abend. Von ihnen singt der 60-Jährige, der seit sechs Jahren selbst Großvater ist, gern. Und wie er dabei den Bogen spannt vom trauten Utrechter Heim seiner Kinderzeit über seine Jugend bis in die Welt von heute, das ist berührend und hat Format. Ebenfalls von Welt sind die fünf Klasse-Musiker, die van Veen begleiten. Die Percussionistin Wieke Garcia bringt ebenso musikalische Internationalität ins Programm wie der Akkordeonspieler Oleg Fateev. Die barfüßige Edith Leerkes ist eine begnadete Gitarristin. Mit Jannemien Cnossen geigt Herman van Veen sowohl im Duett als auch im fröhlichen Duell, und ohne den Pianisten Erik van der Wurff würde der Sänger sowieso nicht auf Tournee gehen.
Diese Tourfamilie überzeugt nicht allein dank ihrer unglaublichen Professionalität, die sie immer wieder auch in Instrumentalstücken unter Beweis stellt. Die sechs Musiker pflegen ein Zusammenspiel, das von Respekt und Hingabe lebt. Man braucht nur Hermann van Veen zu beobachten, wenn er Sendepause hat: Im Halbdunkel der Bühne folgt er jeder Bewegung, jedem Ton seiner Kollegen, zollt ihnen Beifall, lässt sie seine Bewunderung spüren. Hut ab! Und lasst es Pingpongbälle regnen!