Peter Kemper
FAZ

Toupet or not Toupet: Hermann van Veens clownesker Kreuzzug

22 mei 1995

Der Kinder-Mann als Seelenfänger: Hermann van Veen ("Ich bin ein Nie-Erwachsener") hat sich Narrenfreiheit verschafft. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren kann er seine Verquere Clowns-Logik kultivieren, ohne für all die Betulichkeiten und Sentimentalitäten ernsthaft getadelt zu werden. Denn das Publikum empfindet seine Tränen als Schmutzlöser. Hinter der Monotonie des Alltags soll ja eine "zweite" poetische Wirklichkeit zum Vorschein kommen, in der Tagträume das Einerlei beleben.

"Vom Traum zur Wirklichkeit habe ich gewissermaßen eine Wäscheleine ge-spannt." Daran baumeln jetzt in der dritten Dekade all die kleinen Mogelpackungen des Humors, die erst beim Öffnen ihren Tiefsinn offenbaren. Kaum einer Randgruppe - von Schwulen über entrechtete Kinder bis zu Fixem und Asylbewerbem -hat der Hofnarr aus Passion bisher seine Solidarität versagt. Betroffenheit und Betrübtsein haben sich mittlerweile bei ihm zum künstlerischen Prinzip verfestigt. Kein Wunder, daß er für unzählige "post-puber-täre Polit-Sozialisationen" die begütigende Begleitmusik lieferte. Er galt als Inbegriff eines stets guten Gewissens in einer immer schlechter werdenden Welt. Heute, wo alles mit allem vemetzt erscheint, wo einfache Tatsachenwahrheiten - von der Politik bis zur persönlichen Moral - immer seltener zu haben sind, wo immer mehr Fragen die wenigen gültigen Antworten verdrängen, ist ein kahlköpfiger Clown der alten Schule fast nur noch eine tragische Figur.
Van Veen wehrt sich mit einer griffigen Endzeit-Vision: "Temperatur steigt, Wasser strömt immer schneller." Ansonsten hielt der melancholische Menschenfreund in der Frankfurter Alten Oper noch ein paar all-tagspraktische Ratschläge bereit: "Bleib nie bei deinem Arzt, wenn die Pflanzen in seinem Wartezimmer tot sind." Van Veens neues Programm "Zwei Reisende" scheint bewußt auf die alten Weltverbesserungskonzepte mit Abrüstungsvorschlägen und Wiedervereinigungsmodellen zu verzichten. Fast wirkt der virtuose Kunstgewerbler heute ein wenig resignativ. Unter einem fetten gelben Mond setzt er mit dem Pianisten Eric van der WurfT und Nard Reijnders (Saxophon, Klarinette und Akkordeon) auf das harmlose "Konfetti-Prinzip": Nichts kann verändert werden - außer für Momente unserer Wahrnehmung, wenn die bunten Papierschnipsel in einen umgedrehten Regenschirm rieseln.

Zwischen Verwunderung und Verwunde-rung inszeniert der Poet vom platten Land seine Verwirrspiele. Dem anhänglichen Publikum bleibt es überlassen, den Zusammenhang zwischen van Veens Überzeugungen herzustellen. Kompletter Nonsens kontrastiert mit peinlicher Polit-Poesie: "... sie hörte es vom Wind, daß mit jeder Militär parade ein neuer Krieg beginnt." Auch das Pathos seiner kräftigen Bruststimme bricht sich immer wieder, wenn sie sich durch selbstironische Spruchweisheiten kaspert:

"Echte Männer haben nie Migräne, echte Männer lieben ihre Mutter, echte Männer haben Haare, echte Männer pinkeln im Stehen, echte Männer heißen Hermann." Kein roter Faden weist den Weg durch das Verwirrspiel aus Songs, pantomimischen Einlagen, kleinen Szenen und großen Gesten. Die Unordnung seines Auftritts entspricht der willkürlichen Folge von Fernsehbildern über Fußball, Völkermord und Cornflakes. Van Veen scheint sich auf Ungereimtheiten nicht länger einen Reim machen zu wollen. Vieles bleibt bei ihm eben bewußt "unkapierbar".

Mit seiner Geige zigeunert er durch jiddische Tänze, wechselt zur Free-Jazz-Parodie an den Flügel und berauscht sich an einem Tango-Duett. Leider fehlt ihm dabei der subversive Witz eines Helge Schneider. Am dringlichsten sind van Veens Kleinkunst-Kabinettstückchen, wenn sie von ganz profanen Abschiedsszenen handeln. Die beginnen für ihn bereits bei der Geburt: "Anne, kaum bist du ohne Babyspeck, schon saust du auf dem Mofa weg!" Das ernste, immer erstaunt wirkende Gesicht ("Toupet or not Toupet") spiegelt dann sein ganzes Dilemma: Van Veen vergeudet seinen Schmerz wie seine Glücksgefühle.


PETER KEMPER
Frankfurter Allgemeine Zeitung