WIESBADENER KURIER
Peter Müller

Beifallssturm für einziges Deutschlandkonzert von Herman van Veen in Wiesbaden

26 mrt 2015

Einer der emotionalsten Momente des Konzerts ist jener, den Herman van Veen seinem Freund und Wegbegleiter Erik van der Wurff widmet, der 2014 gestorben ist. Doch der Abend, mit dem van Veen auch seinen 70. Geburtstag feiert, hat auch viel Humorvolles.


Wiesbaden. Immer noch und wieder da: Ausnahmekünstler Herman van Veen beehrt kurz nach seinem Siebzigsten das Kurhaus, um eine wunderbare Geburtstags-Party und die Rückkehr an den Ort seiner Bühnen-Premiere zu feiern. Die Zutaten: leise, laute, schräge, wehmütige Töne, kluge, rätselhafte, kuriose Anekdoten und viele neue, frisch ins Deutsche übersetzte Lieder, die so berührend, so tragikomisch, so sentimental oder einfach so großartig sind, dass man niederknien möchte. Im ausverkauften Thiersch-Saal gibt es dafür zur Begrüßung ein spontanes „Happy Birthday“ aus dem Rund – und am Ende stehende Ovationen.

Natürlich, einer fehlt. Seine hinterlassene Lücke ist riesig: Erik van der Wurff, dessen Flügel über (fast) den gesamten Abend verwaist bleiben wird. Der meist etwas mürrisch dreinblickende, wortkarge Mann aus De Bilt bei Utrecht, der im letzten September nach einer achtjährigen Leukämie-Tortur gestoben ist, war für van Veen viel mehr als Pianist, Arrangeur und Komponist – ein ständiger Wegbegleiter in 52 Karrierejahren, ein Lebensfreund. Und es ist zweifellos der emotionalste Augenblick des Konzerts, als Herman van Veen kurz vor 23 Uhr am Flügel sitzt, seine Band dem Publikum den Rücken kehrt, um als Hommage ein Van-der-Wurff-Stück anzuspielen und mittendrin innezuhalten. Van Veen tritt ans Mikro, erinnert an den Freund und die gemeinsamen Anfänge und es verschlägt ihm kurz die Sprache – eine Pause, in der man im Saal die oft zitierte Stecknadel hätte fallen hören können.

Dann: ein hinreißend umgetextetes, an van der Wurff gerichtetes „Gloria in Excelcis Deo“ – minutenlanger Applaus und Bravo-Rufe. Vielleicht bleibt es das wichtigste von vielen Talenten, dass van Veen solche Momente nie auch nur an die Grenze des Rührseligen oder Larmoyanten driften lässt. Er singt Lieder von der Liebe, ohne kitschig zu sein. Er ist kauzig, selbstironisch, melancholisch und gnadenlos albern zu gleichen Teilen – ein Unikum, dessen Kunst zu beschreiben immer wieder zur Herausforderung gerät.

Poet, Musikant, Philosoph

Poet, Musikant, Komödiant, Geschichtenerzähler, Philosoph und und und – welche Rolle er auch immer gerade wählt, kaum jemand schafft in all den vorsätzlichen Gefühls- und Stil-Wechselbädern so konsequent Nähe zu seinem Publikum wie van Veen. Er singt und tänzelt sich durch Louis Primas „Buona Sera Signorina“, Little Richards Rock’n’Roll-Gassenhauer „Tutti Frutti“ oder Rocco Granatas „Marina“ in den Liebesmarsch „Anders anders“, er malt Bilder, um sie wegzuwehen, thematisiert Trauer, in der das Glück nicht weit ist.
Ganz en passant ist dieser formidable 150-Minuten-Exkurs auch ein brillant klingender Aufstand der ehrlichen, handgemachten Musik gegen jedwede Konservenkost: Dafür stehen die drei Damen Edith Leerkes (Akustik-Gitarre und zwei hinreißend elegische Songs), Jannemien Cnossen (Geige) und Saskia Egtberts (Geige) genau so wie „jungen Wilden“ Rikkert von Huisstede (Klarinette), Dave Wismeijer (Bass) und Robin Schärfen (E-Gitarre) – ein hervorragendes Team, das ganz offensichtlich auch den van Veenschen Humor bestens verinnerlicht hat. Denn trotz aller nachdenklichen, zeitweise auch wunderschön todtraurigen Zwischentöne bleibt der kauzige Gedankenspieler, der Allesmöglichmacher und Wortmagier van Veen auch ein unverbesserlicher Optimist. Einer, der sich vor dem üppigen Strauß Zugaben ein blutrotes Rosenblatt mit Spucke an die Nase klebt – der melancholische Clown hat mit 70 also noch lange nicht fertig. Gut so – die Bühne braucht ihn.



Peter Müller