Die Welt
Herman van Veen

Holland taktisch und moralisch nicht mehr auf der Höhe

17 nov 2015

Holland fährt nicht zur Fußball-EM. Verdient, findet unser Autor. Es gibt grundlegende Probleme, die Ursachen sind komplex. Die Nationalelf könne auch moralisch nicht mehr mithalten.


Billard ist wirklich ein schöner Sport. Auch Tennis spiele ich gern, mittlerweile aber ziemlich langsam. Ich schaue mir Leichtathletik an und im Sommer jede Etappe der Tour de France. Und das alles schon, seit ich zehn bin.

Aber mein Lieblingssport ist und bleibt Fußball. Auch wenn es schwer fällt, sich im Moment damit zu beschäftigen. Meine Gedanken sind bei den Opfern von Paris.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin kein Schönwetterfan, der ab und zu mal ein Spiel anschaut. Nein, ich bin ein Maniac, total verliebt in das Spiel, seit ich denken kann. Deshalb ist es mir auch unmöglich, meine Konzerte nach den Fußballspielen auszurichten, die ich gern sehen würde. Dann könnte ich nämlich gar nicht mehr auf Tournee gehen.

Das wird nächstes Jahr allerdings kein Problem sein. Leider. Denn wie jeder weiß, ist Holland nicht bei der Europameisterschaft in Frankreich dabei. Wie schon vor der WM 2002 hat unsere Nationalmannschaft mal wieder die Qualifikation für ein großes Turnier verpasst. Und das in einer Gruppe, die für uns machbar erschien.

Doch statt den Fußball in eine neue Epoche zu tragen, sind wir offenbar selbst abgehängt worden. Türkei, Tschechien und sogar Island spielen plötzlich besseren Fußball als Holland. Wir haben da wohl einige Entwicklungen verschlafen.
Früher spielte ich selbst einen altmodischen Rechtsaußen. Ich hatte die Aufgabe, den Ball an die Grundlinie zu bringen und hohe Flanken zu schlagen. Mitverteidigen war damals noch nicht üblich, dafür waren andere zuständig. Der Fußballplatz war für uns strikt geteilt: In einem Teil spieltest du, und in dem anderen spieltest du nicht. Um diese Werte geht es gegen die Niederlande

Nach meiner Zeit als aktiver Fußballspieler musste ich damit vorliebnehmen, mir Partien anzuschauen, vor allem die meiner Lieblingsklubs FC Utrecht und Feyenoord Rotterdam. Gerade mit Feyenoord habe ich viele schöne Momente erlebt. Höhepunkte waren auch die Spiele unserer niederländischen "Elftal", die Zeit von Johan Cruyff und Rinus Michels und dem legendären Duo Willem van Hanegem/Ernst Happel.

Hanegem, der geniale Mittelfeldspieler aus der Utrechter Fußballschule, feierte unter dem knorrigen Österreicher Ernst Happel große Erfolge. Zweimal führten die beiden Feyenoord zur Meisterschaft, 1970 gewannen sie den Weltpokal. Das waren schöne Zeiten.
Leider steckt der holländische Fußball heute tief im Morast. Die 18 Vereine der Eredivisie sind ehrlich gesagt in einem besorgniserregenden Zustand. Zusammen fahren sie einen Verlust von ungefähr 100 Millionen Euro ein. Die Fernseheinnahmen sinken stetig, und die lukrative Champions League gerät durch die mäßigen Leistungen immer weiter außer Reichweite. Dadurch gibt es weniger Sponsorengelder. Ein Teufelskreis.

Memphis Depay ist das Symbol des Untergangs

Die Ursachen für die schwachen Leistungen sind komplex. Missmanagement, Defizite in der einst so vorbildlichen Jugendarbeit und eine verblüffend hohe Zahl von Egos haben dazu geführt, dass die Nationalelf moralisch, technisch und taktisch international nicht mehr mithalten kann.

Memphis Depay, ein toller Fußballspieler, ist das Symbol des Untergangs von Oranje. Der Linksaußen, für den Manchester United 28 Millionen Euro bezahlte, hat in der völlig missglückten EM-Qualifikation kein einziges Tor geschossen. Er und seine Kollegen haben, so kann man es sagen, eher für sich selbst Fußball gespielt.

Um unsere Fußballstars – mit Ausnahme von Arjen Robben und Wesley Sneijder – liegt eine Müdigkeit, die auch Manager und Trainer offenbar nicht vertreiben können. Es gibt Qualität im Kader, aber keinen Zusammenhalt. Im vergangenen Jahr sind wir als Fußballnation dramatisch abgestürzt.
Das Blatt lässt sich nur wenden, wenn jeder mitmacht. Gemeinsam aufräumen und durchstarten, sich ins Zeug legen, Fußballschuhe putzen, früh ins Bett gehen und früh wieder aufstehen. Es wird schon wieder werden. Wie in dem Lied "Spinnig Wheel" von Blood,
Sweat & Tears: "What goes up, must go down." Und umgekehrt.


Herman van Veen tourt 2016 anlässlich seines 50. Bühnenjubiläums mit dem Programm "Fallen oder springen" durch Deutschland.


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