Gerd Blase schrieb am 07.11.2006 in der Mainzer Rhein-Zeitung
Von der fürchterlichen Angst vor Gott
Dreieinhalb Stunden mit Herman van Veen in der Phönixhalle - Von Routine ist nichts zu spüren
MAINZ. Das Saallicht brennt, die Bühne der Phönixhalle ist schon dunkel, die obligatorischen Zugaben hat er längst gegeben, die Ausgänge sind weit geöffnet -und nun steht er doch wieder da, nach dreieinhalb Stunden: "Ich sing' noch ein Lied", ruft Herman van Veen, "dann kipp'ich um."
Im März ist er 60 geworden, aber wenn er für sein Publikum spielt, ist er immer noch der jungenhafte Clown: "Sie sagen, die Niederländer sind nicht sexy", erzählt er. Zum Gegenbeweis knöpft er das Hemd auf und zerrt seinen schwarzen Slip bis unter die Achseln. Auch die Hosen krempelt er sich irgendwann hoch bis weit über die Knie. So steht er dann da und singt ein sehr ernstes Lied für "die Großmutter in der Abstellkammer", für "die in Kellern gefangenen Kinde" und "das Mädchen, das keinen abkriegt ": " Kyrie Eleison".
Herman van Veen liebt das Wechselbad - in jeder Hinsicht. Mal schmettert er mit gewaltiger Stimme Chansontexte ins Publikum, dann flüstert er von seiner Kindheit: "Als ich klein war, hatte ich fürchterliche Angst vor Gott. Weil Gott immer alles sah. Auch die Bremsspuren in meiner Unterhose."
Doch es ist nicht nur van Veen, der da auf der Bühne steht. Am Flügel sitzt sein alter Freund Erik van der Wurff: "Wir spielen seit 43 Jahren zusammen. Seit der Zeit, als Mainz noch zu Holland gehörte." Daneben spielt seine Produzentin Edith Leerkes ungeheure Soli an der akustischen Gitarre. Vor allem jedoch räumt er den jungen Musikern in seiner Band viel Platz ein. Wieke Garcia singt mit samtener Stimme das " Kyrie", und zu Oleg Fateev meint van Veen: "Die guten alten Feinde sind wieder da, diesmal kommen sie mit Akkordeon." In Mainz präsentiert van Veen vor allem Stücke seiner aktuellen CD "Hut ab!", einige wenige alte Titel kommen erst spät am Abend. Doch das ist nicht weiter tragisch, denn der Mann ist sich über die Jahre treu geblieben. Gerade die Liebeslieder bleiben zeitlos. Er singt sie immer noch, und immer noch ist von Kitsch keine Spur. Mehr als 100 Platten pflastern die Karriere des Herman van Veen, dazu kommen ein ganzer Haufen Bücher, Filme und die Geschichten von Alfred Jodocus Kwak. Wie nebenher gründete er auch noch vier Kinderhilfsorganisationen, ist als Unicef-Botschafter unterwegs uns baut demnächst ein Theater in Soweto/Südafrika.
Dieses humanitäre Engagement begleitet ihn bis auf die Bühne. Sein Chanson "Die Väter" endet im Original mit den Zeilen "Bevor du es merkst, ist das Kind schon groß". Im Konzert schiebt er eine afrikanische Version hinterher ist das Kind schon tot." Da stockt der Applaus.
Von Routine ist nach all den Jahrzehnten immer noch nichts zu spüren. Van Veen spielt und singt mit ungeheurer Intensität, nur der 60-Jährige und Edith Leerkes halten bis zum Schluss durch, die anderen Musiker machen vorher schlapp.
Wer solch ein Konzert besucht, glaubt mindestens 24 Stunden lang wieder an das Gute und Böse im Menschen, daran, dass die Welt sich ändern lässt, dass Kinder bessere Menschen sind. Und daran, dass der Clown immer noch einmal auf die Bühne kommt und ein Lied singt.