Günter Putz schrieb am 07.10.2005 in der NRZ - Duisburg



Herman, die "mobile Zirkuskirche"



KONZERT / "Hut ab" heißt die Wundertüte, die Herman van Veen zu seinem 40-jährigen Bühnenjubiläum öffnet.

Seine Haare, längst grau statt blond, wallen nur noch um die Ohren und im Nacken. Die Wärme ist ihm geblieben, die Liebe zu großen, vor allem aber kleinen Menschen ist ihm geblieben. Seit 40 Jahren ist Herman van Veen auf den Bühnen der Welt unterwegs, am Donnerstag und Freitag machte der Melancholiker und Romantiker, der Moralist und ewige Träumer das Theater am Marientor wechselweise zum chaotischen Kinderzimmer oder zur gemütlichen Erzählstube, in der nur ein prasselndes Kaminfeuer fehlte.
"Mobile Zirkuskirche" hat sein Freund Heinz-Rudolf Kunze den vor 60 Jahren in Utrecht geborenen Wirbelwind genannt. Das trifft´s. Seine raue Stimme wärmt, wenn er Liebeslieder singt, die so fern sind vom Liebe-Schmelz der Schlagerszene. Man möchte ihn in den Arm nehmen, wenn er mit den großen Augen eines Kindes die Welt bestaunt.


Pure Lebenslust und Melancholie


Sein Publikum prustet los, wenn er, längst Opa, wie Ente Alfred Jodokus Kwak im Kreis watschelt, hunderte Tischtennisbälle über die Bühne kullert oder in seiner unnachahmlichen " Herman-Spraak" losbabbelt. Da huscht selbst seinen langjährigen musikalischen Begleitern ein Lachen übers Gesicht. Und die dürften an einiges gewöhnt sein.
Doch Vorsicht. Der Clown, der Pantomime, der zärtliche Sänger, ist nur eine Seite van Veens. Wer sich genießend zurücklehnt, wird unvermittelt vom Moralisten Herman van Veen aufgerüttelt. Er prangert Väter an, die überall auf der Welt Kriege führen und Kinder sterben lassen. "Join the Army. See the World. Meet interesting People. And kill them" (Geh zur Armee, lerne die Welt kennen, triff interessante Menschen. Und töte sie). Er singt in "Kyrie Eleison" von ausgebeuteten Randexistenzen, gequälten Kindern und raffgierigen Politikern. Um im nächsten Moment schon wieder fröhlich Panflöte auf den Fingern zu spielen oder zu kalauern: "Zwei Kannibalen essen einen Politiker. Sagt der eine: Schmeckt nach nichts."
Es ist eine riesige Wundertüte, in die Herman van Veen annähernd drei Stunden mit seinen vorzüglichen Musikern greift: mit Erik van der Wurff (Piano), der 40 Bühnenjahre mit Herman teilt ("Damals hat Duisburg noch zu Holland gehört"), mit der Multiinstrumentalistin Wieke Garcia, der famosen Gitarristin Edith Leerkes, mit Oleg Fateev (Akkordeon) und Jannemin Cnossen (Geige). Sanftes, Spanisches und Zirkusmusik haben sie locker drauf, selbst Hardrock, bei dem sich Herman zuckend auf dem Boden wälzt.
Andere krempeln die Ärmel auf, Herman van Veen rollt die Hosenbeine hoch. Dort bleiben sie bis zur fünften Zugabe. Und er zeigt - "Was, Holländer sind nicht sexy?" - eine Brust, die noch spärlicher behaart ist als sein markanter Schädel.

Ist er wirklich schon 60?
Da knautscht er die Stirn und frohlockt: "Seit 1968 sind 40 Prozent meines Publikums gestorben. --- Sie haben Glück gehabt."