Osterlander Volkszeitung
Gisela Hoyer

Deutschland, Europa, naja ...

31. Marz 1993

Da wird ein Morgen beschrieben, und zwar kleineswegs aufmunterend: "du siehst die Decke weg und der Himmel bleibt aud dir kleben, und ein Blick in der Spiegel ist ein Blick in der Abgrund.". Herman van Veen ist einer der verdammt genau hinguckt mit diesen großen, klaren, meerblauen Augen. Und während er dann sehr eindringlich von seinem berühmten „zärtlichen Gefühl“ singt, arbeitet ein unbestechlicher Verstand. Einen „brutalen Moralisten“ nennt ihn George Moustaki.


Van Veen setzt dagegen, er biete nur etwas an: Gedanken - in Versen, Sätzen, zuweilen nur Halbsätzen. Beobachtungen aus den alltäglichen Schlachten, mit denen wir mehrheitlich friedlich leben. Gemeint ist der Krieg zwischen den Geschlechtern, den Generationen, zwischen Arm und Reich, zwischen Natur und Gesellschaft. Von Bosnien, Angola oder Rostock/Mölln ganz zu schweigen.

Was die Leute dann mit seinen Anmerkungen zu Zeit und Raum begännen, sagt der Mann, sei ihre Entscheidung. Oder doch nicht ganz, denn glaubt man Konstantin Wecker, so brauchen wir ihn jetzt mehr denn je: „Herman van Veen liebt die Menschen und holt sich vom Himmel die Inseln, auf denen wir mit ihm träumen dürfen.“

Gar nicht träumerisch, sondern deutlich provokant hatte er irgendwann die DDR auf zwei Begriffe gebracht: Spitzensportler und Stacheldraht. Der Staat reagierte beleidigt, van Veen durfte lange nicht wiederkommen. Nun ist er wieder da - auf einer Deutschland-weiten Tour, unterwegs zwischen Chemnitz und Emden. Im aktualisierten Telefonat mit seiner Mutter definiert er dieses Land mit „Bratwurst und schon fast Polen“, und Deutsch ist für ihn Holländisch mit einem komischen Akzent. Anregend diese Distanz, die bei van Veen mit Zuneigung verbündet ist. Die Leute im Osten, kommentiert er zweierlei Publikumserwartung, seien deutlich auf „echte, direkte Kommunikation“ aus und die im Westen auf Unterhaltung.

Er bedient beide und trefflich, ist umwerfend komisch und unendlich traurig. Unentschiedenes Dazwischen kommt nicht vor, statt dessen sind gute drei Stunden Dialektik angesagt. „Du weißt nicht, was Du siehst, Du siehst nicht, was Du weißt, was Du lieber gern vergißt“, heißt es da, werden Dornenkrone und Stahlhelm in einem Atemzug genannt, wird die bittere Drohung ausgestoßen: Ausländer tötet Deutschen! Van Veen ist ein Clown, ein Poet und ein Zauberer. Er macht vor, wie Regenwald klingt - Sägekreischen und dann das bestürzende Geräusch fallender Bäume, und einen Moment später spielt er just for fun mit seinem Echo. Er versucht, die Stimme des sagenhaften südamerikanischen Jesus-Christus-Vogels zu finden, oder er stellt sich und uns all jene schwierigen Fragen zwischen Hölle und Paradies. Der Mann (48) ist ein anerkanntes Multitalent, bewährt als Komponist, Texter, Sänger, Geiger, Mime, Filmemacher und Parodist. Er hat Bücher geschrieben, mehr als 60 LPs und 50 CDs produziert, in vier Sprachen übrigens, er ist zu Hause in Theatern aller Kontinente, von Amsterdam bis New York. Und stets war er auch unmittelbar politisch engagiert, mehr als Unverbesserlich scheint er wie Heinz Rudolf Kunze zu glauben, „daß unser heillos verspieltes Geschick doch noch die Märchenkurve kriegt“.
Seine Hoffnung setzt auf Wehrlosigkeit und auf die Integrität und Weisheit der Kinder. Folgerichtig beschäftigt ihn der „Fratz auf dem Kinderrad“ wie eh und je.

So singt er „.Anne“, seine wunderbare Liebeserklärung an alle Heranwachsenden, meditiert darüber, warum Babys so schreien und läßt natürlich Alfred Jodokus Kwak nicht aus. Aber immer, wenn die Stimmung gar zu romantisch zu werden droht, vollführt van Veen eine seiner bekannten jähen Wendungen. Eben noch ging es um männliche Wehmut angesichts der anmutigen Sorglosigkeit, mit der eine Frau geht. Dann wird mitgeteilt, sie trage „seit Monaten schon ein Krebsgeschwür“. Und auch sonst sei dieser Planet nicht eben in Ordnung.

Ein Zauberer in klassischem Schwarzweiß, ein äußerst eleganter Herr, der beinahe zufällig entdeckt, wieviel Möglichkeit die Wirklichkeit birgt. Eingehüllt von blauem Scheinwerferlicht und im Konfettiregen, tanzt Herman van Veen, läuft mit seinen /Ängsten um die Wette - und gewinnt, wenigstens für den Augenblick. Er erzählt Alltägliches von sich und zeigt, daß seine auch unsere Geschichten sind. Später gefragt, wann eigentlich er Zeit habe, Realität zur Kenntnis zu nehmen, mit Leuten zu reden, all diese unverwechselbaren Details zu sammeln, die dann überraschend verfremdet in urkomischen, bösen, ironischen oder ganz sachlichen Zusammenhängen in seinen Songs wiederkehren, sagt er: „Immer, überall. Ich habe gelernt zu fragen, zuzuhören. Ich sehe Dich und das lehrt mich viel über Dich.“ - Von wegen „Zärtlichkeitsdussel“, er ist ein Analytiker, der der Couch nicht bedarf.

Man sieht van Veen zu und kapiert: Da lebt einer, statt sich leben zu lassen. „Ich armer Mann, was fang“ ich an? Ich will mich lustig machen, solang“ ich kann.“ Er ist ein weiser Clown, einer, der seine Fragen selbst zu beantworten vermag. Dazu braucht er uns nicht, aber wohl, um ihn zu mögen. Dann ist seine Wahrheit angekommen. Am Ende des Programms steht ein Weihnachtslied, sehr leise, sehr zart gesungen. In die Stille danach wagt niemand einen Laut.

„Das war das Ziel“, lächelt müde der ungeschminkte Spaßmacher, nimmt Geige und Hut und geht von der Bühne. Vorher hatte er noch eingestanden:

„Wenn ihr nicht gekommen wärt, hätte ich keine Lust gehabt.“



Gisela Hoyer