HAZ
Michael Laages

Clown ohne Illusion

Herman van Veen im Theater am Aegi

30 nov 1985

Er kommt wie zufällig hereingeschneit -den Schellenhut auf dem Kopf, den schwarzen kleinen Gerümpelkoffer in der Hand, an dem ein weißer Elefant aus Stoff baumelt. So ist auch der Abend mit Herman van Veen, einer von vieren im ständig ausverkauften Theater am Aegi. Nicht jedes Requisit, mit dem der Holländer spielt, ist unersetzlich, manches scheint nur zufällig aüf die Bühne geraten zu sein. Aber in seiner Hand verwandelt es sich, wird zum Bestandteil einer Theatergeschichte voll schwebender Poesie.


Dieser Mann zum Umarmen, der sich so bedingungslos heranschmeißt an die Gefühle seiner Zuschauer, der sich ihnen so vertraut macht, daß sie ihn zur Zugabe mit kumpeligen „Herman' -Rufen wieder hinter dem Vorhang hervorbrüllen, „schwebt“ ja' zeitweilig tatsächlich, etwa wenn er die wuchtigen Manierismen der Tenniscracks zur Zeitlupe verlangsamt und so die Bewegung grell überzeichnet. Da ist das Spielerische des Herman van Veen, das sind die varietereifen Albereien, die freilich nur wenig mehr sind als ein naives Spiel mit Masken und Marotten.

Doch gerade weil es diese bloß komischen Vergnügungen gibt, bekommen nachdenklichere Posen und Porträts um so schärfere Konturen: wenn der Mime den Tod herbeispielt, ein absurdes Festbankett über seinem Sarg abhalten läßt und dann psychisch gespalten aus der Versenkung ins Grab zurückkehrt. Haarscharf beobachtet er nun sich selbst und seinen Kampf um das wirkliche Leben. Am Schluß dieser bedrük-kenden Szene rettet er sich vielleicht deshalb in den flotten Klamauk, weil ihm der tiefe Gehalt seines unentschlossenen Ablebens an die Nieren und an die Substanz gehen könnte.

Van Veen war nie ein Spaßmacher ohne deutlichen Standpunkt, heute weniger denn je. Seine Texte, die vorzugsweise immer noch Thomas Woitkewitsch übersetzt und die der wunderbare Musik-Spieler Erik van der Wurff für das prächtige Ensemble vertont, halten mit Meinung nicht lange hinter dem poetischen Berge - wenn er im Finale „Signale“ für Unterdrückte und Mißhandelte dieser Welt fordert, wenn er in einem schrecklich und erschreckend kühlen Lied die „Augen aus Eis“ besingt, die ein Mitläufer von damals bei den Jung-Nazis von heute wiedersieht, wenn er von einem modernen Gott fordert, die Wechsler abermals aus den Tempeln zu verjagen, ganz so wie es geschrieben stehe. Und wenn nicht dann solle dieser Gott, der soviel Elenc durch Duldung mitverantwortet, doch bitt< wenigstens beweisen, daß es ihn nicht gebe.

Van Veens Positionen sind so klar, weil si< unverstellt menschlich sind. Gerade eir Text wie der von „Alten Ehepaaren“, derer Liebe urplötzlich abhanden kommt, könnte sich kaum ein besserer Interpret vom großer Skeptiker Erich Kästner ausleihen als gerade van Veen. Das sind oft große Minuter des klassischen Chansons, wenn er Kästnei und Brei für seine Zwecke nutzt.

Mit Blick nach vom verabschiedet er sich von seinem Publikum, das nun voraussichtlich vier Jahre auf ihn und seine Spiele wird warten müssen. Der Sänger sitzt an der Rampe und singt mit dem Publikum nicht mit dem billigen Mitsing-Einverständnis anderer Entertainer, sondern klug und wohl dosiert.
Wie alles in van Veens Selbstporträt eines illusionsarmen Clowns eines großen Kindes von 40 Jahren.



Michael Laages