Hannoverische Allgemeine
Antje Hildebrandt

Rabenvater, lieber Sohn

Herman van Veens Gastspiel im Theater am Aegi

30. okt 1992

Träume sind Schäume. Rote, gelbe und blaue Seifenblasen, die man besser nicht berührt, weil sie sonst zerplatzen. Ein Alptraum! Die Gabe, Schaum zu schlagen, ist nur wenigen Menschen verliehen: den Clowns. Ein liebenswerter Vertreter dieser Gattung bestritt jetzt die erste von fünf (!) ausverkauften Vorstellungen im Theater am Aegi: Herman van Veen.


Der Mann hat es faustdick hinter den Ohren. Wenn er seinem Kind am (improvisierten) Telefon mit samtig-weicher Stimme ein Wiegenlied singt, sieht er aus wie der „Kleine Fratz auf dem Kinderrad“ - die Hauptperson eines der wohl schönsten Lieder aus der Feder des 47jährigen Multitalents, der Entertainer, Schauspieler, Sänger, Musiker, Komponist und Dichter in einer Person ist. Doch der treuherzige Blick aus Kulleraugen trügt. „Nina, bubu, schlafe sacht. Harakiri, gute Nacht.“ Herman, dieser Rabenvater, ist aber ein artiger Sohn („Hallo, Mama! Was? Ja, ich hab’ gegessen. Bratwurst!“) -jedenfalls am Telefon.
Das Publikum lernt ihn aber auch als rotzfrechen Bengel kennen. „Mama, einäschern ist sehr gesund. Dann können keine Würmer mehr an deinen Zehen knabbern.“ So viele Gesichter, so viele Widersprüche. Doch gerade sie machen den Holländer mit dem unnachahmlichen Akzent („Swei Ssspatzen heirateteten“) so interessant. Kaum meint man, ihn in eine Schublade stecken zu können, schon schlägt er einen Haken und zeigt dem Publikum eine lange Nase.

In atemberaubenden Tempo jagt van Veen querfeldein durch die Highlights seiner 50 CD’s, die er bislang in vier Sprachen aufgenommen hat. Mit Erik van der Wurff (Klavier) und Nard Reijnders (Saxophon, Klarinette, Akkordeon) stehen zwei ihm kompetente Musiker zur Seite, die seine Höhen- und Sturzflüge mal herzzerreißend tragisch, mal komisch kommentieren. Wenn Nard Reijnders ein beseeltes Sax-Solo bläst, dann scheint der aschfahle Mond am Bühnenhimmel ins Bourbon-Glas zu plumpsen
Und wenn Erik van der Wurff mit den Fingern über die Tasten seines Pianos flitzt, kann man sicher sein, daß van Veen mit breitem „Königin-Beatrice-Grinsen“ im Otto-Waalkes-Galopp über die Bretter hoppelt.

Der Holländer spielt die erste Geige - in der Musik wie au fixier Bühne. Mit Witzen, Sketchen, Gaukeleien und Zaubertricks strickt er seine Songs zu einem grellbunten Patchwork-Kissen zusammen. Die Palette der Themen reicht vom Liebeslied für ein Baby („Anne“) bis zur schmierig-schmuddeligen Mafiaposse („Cosa Nastra“). Brüche benutzt der Tausendsassa als Stilmittel. Da jagt eine deftige Zote („Brand im Krematorium: ein Toter“) die kritische Fußnote zum Thema Regenwald. Da lachen sich die Zuschauer über einen DDR-Witz kringelig („Ein Ostberliner Hund sagt zu einem Westberliner Hund, während sie sich anpinkeln: Stand hier vorher nicht was zwischen uns?“). Und im nächsten Augenblick schon bleibt ihnen das Lachen bei einem Song über die Trümmerkinder im jugoslawischen Bürgerkrieg wieder im Halse stecken. Van Veen, dieser unermüdliche Unicef-Streiter für die Rechte der Kinder, versteht es, seine Botschaften an der richtigen Stelle zu plazieren.

Das politische Engagement des Künstlers ist die eine Seite, sein Glaube an die Kraft der Phantasie die andere der Medaille. Der Typ hat den Kopf voller Flausen und die Taschen voller Konfetti. Aus „Mücken“ (wie dem Geräusch eines „Kru-puk-Vogels“) macht er „Elefanten“ (einen Tamponwitz). Man lacht viel und ist gerührt, wenn das Kind im Manne die Welt auf den Kopf stellt. „Hat Gott eine Mutter? Wo wohnt sie? Und mag sie auch Apfelstrudel? Wenn man sein Leben lang Haare verloren hat, warten sie dann im Himmel auf dich?“ Erschrocken greift sich der Clown an die Stimglatze. Da verzieht sogar der kirschrote Mond am Bühnenhimmel den Mund zum Grinsen.

Aber vielleicht ist das auch nur ein Traum . . .



Antje Hildebrandt