Abendzeitung
Gert Gliewe

Man ist viel zuwenig allein

30 sept 1981

AZ-Gespräch: Herman van Veen wieder auf Tournee

In Holland ist Herman van Veen der männliche Entertainer Nummer eins: ein Star ist er nun längst auch bei uns. Ein Liedermacher, der so frech und so zärtlich von den Dingen des Lebens singt, daß man ihm glaubt, wenn man ihm zuhört. Eine Identifikationsfigur quer durch die Generationen; fast eine moralische Institution, denn er hört nicht auf, an Herz und Verstand zu appellieren, liebevoller miteinander umzugehen. Nach längerer Pause ist nun wieder eine LP von van Veen erschienen: "Die Anziehungskraft der Erde"; mit den Liedern dieser Platte geht er jetzt auf Deutschland-Tournee - seine größte bisher. Am 1. und 2. November ist er in München im Circus Krone. Wir sprachen mit van Veen nach Proben für den Fernseh-Liedercircus in München.


Auf seinen Wunsch ist neben Angelo Branduardi auch Erika Pluhar dabei.

van Veen: "Die Frau hat mich fasziniert, wie sie so dastand in all der Hektik, ganz auf sich konzentriert, mit ihren Falten, ein paar grauen Haaren, da merkt man, die Frau hat viel hinter sich, die hat was erlebt und weiß, wovon sie singt. Die macht nicht nur die Lippen auf und zu wie viele andere."

Auch in van Veens Liedern ist immer von eigenen Erfahrungen die Rede - Lieder als autobiographische Skizzen. van Veen: "Ich schreibe immer nur über Dinge, von denen ich eine Ahnung habe. Ich habe noch nie ein nicht autobiographisches Lied geschrieben. Wenn ich Lieder von anderen singe, sind es immer Texte, mit denen ich mich identifizieren kann. Ab und zu muß man das nämlich tun; es ist nicht gut, immer nur im eigenen Leben rumzurutschen."

Von Ihrer alten Naivität ist in den neuen Liedern viel verlorengegangen. Sie sind offenbar skeptischer geworden.

van Veen: "Ich bin sicher bewußter geworden; skeptisch, glaube ich nicht, weniger naiv, ja, da bin ich einverstanden. Ich sehe eigentlich alle meine Lieder positiv, weil ich immer versuche, Orientierungshilfen zu geben, eine Lösung anzubieten. Ich gehe eigentlich immer zurück auf die Basis: das Gefühl, die Liebe, die Dinge, die die Erde anbietet. Die Platte heißt ja auch "Die Anziehungskraft der Erde." Das ist doppeldeutig gemeint: Man kommt einfach nicht weg - nicht weg von den Eltern, den Kindern, nicht weg von der Vergangenheit."

Ein großes Thema auf der Platte ist das Alleinsein, bei dem Sie sich offenbar nicht unwohl fühlen. Zweisamkeit ist nicht immer das höchste der Gefühle.

van Veen: "Man ist viel zu wenig allein. Nachdem ich fertig war mit dem Studium habe ich gleich geheiratet; das tat man so. Allein war ich nur, wenn ich Grippe hatte und ich hab' das nie doof gefunden - das war eigentlich verdammt schön. Ein Baum, ein Berg und die Butter in der Butterdose sind auch allein."

Ein zweites Leitmotiv ist die Erotik.

van Veen: "Ja, Erotik ist sehr wichtig, aber nicht ohne Liebe. Wenn etwas ganz toll ist, ein Gemälde, Musik oder ein Fußballspiel, das ist für mich immer auch etwas Sinnliches, Erotisches. Aber Erotik ist heute so schrecklich vermarktet. Ich hab' da neulich ein Plakat gesehen, von zwei Sängerinnen, halbnackt in schwarzem Leder. Wir haben gelernt, so was erotisch zu finden, aber das sieht doch aus wie Krieg! Die schönsten Momente sind für mich die des Er- kennens der möglichen Liebe. Man weiß, wenn ich jetzt Zeit hätte, wäre es ganz, ganz toll. Jemand kann so total gefallen, und wenn man das voll spürt in Kopf und Bauch, das ist es! Ohne das höre ich sofort auf zu singen."

Aber Sie preisen in Ihren Liedern nicht nur prickelnde Glücksgefühle, sondern oft auch die Probleme und Katastrophen, die die anschließenden Beziehungen mit Sich bringen.

van Veen: "Ich habe noch nie eine Frau geliebt, die ich nicht mehr liebe. Aber wenn dann die Diktatur der Verabredungen folgt, da habe ich nichts mehr damit zu tun. Aber ich weiß, daß es Liebe gibt, die über alle Zwänge und Grenzen geht - das gibt mir so viel Kraft, daß ich wieder zwanzig Jahre weitersingen kann."



Gert Gliewe