Cellesche Zeitung
Mügge-Luttermann

... und über dem Flügel stand hell der Mond

30 apr 1982

Ein ganz neuer Herman van Veen begeisterte Celler Publikum

Auch auf einer Großstadtbühne hätte er nicht mehr beeindrucken können, der blonde ? Liedermacher Herman van Veen, der am vergangenen Sonnabend sein Publikum in der Burghalle begeisterte, nachdem das Jugendamt ihm in einer geradezu spektakulär aufwendigen Aktion den Weg nach Celle schmackhaft gemacht hatte. "Wahrscheinlich muß man schon ein bißchen verrückt sein, um so etwas zu tun", meinte Stadtjugendpfleger Nitsche, und er wußte wohl am besten, welcher Arbeitsaufwand das Konzert für ihn und seine Crew bedeutete.



Das war ein völlig neuer van Veen, der sich da dem Publikum in seiner fast zweieinhalbstündigen Show präsentierte. Liedermacher und Rockparodist, Mime und Protestler - all diese Wege beschritt der Niederländer geradezu bravourös. Verschwunden ist das Image des "netten Onkels mit den Kinderliedern", das er so lange geprägt hatte. 1530 Fans erlebten in der Burghalle statt dessen einen sehr selbstbewußten und kritischen van Veen.

Ganz in Weiß und locker-lässig - so betrat der Barde aus dem Publikum kommend die vom Jugendamt extra für diesen Abend aus Wuppertal herangeschaffte Bühne, auf der über dem Flügel ein großer Mond in verschiedenen Farben strahlte. Was nun folgte waren 140 Minuten, die begeisterten und nachdenklich machten. Trotz der teils anspruchsvollen und unter die Haut gehenden Texte versteht es van Veen immer wieder, sein Publikum fröhlich zu stimmen.

Seine große Begabung als Pantomime macht den Bühnenerfolg des Sängers aus und bringt Kraft und Intensität in seine Lieder, die man von der Schallplattenrille nicht kennt. Kritische Themen wie Krieg oder Drogen gehören ja mittlerweile bei jedem besseren Liedermacher zum Pflichtprogramm; bei van Veen jedoch klingen sie nicht abgedroschen und klischeehaft, sondern aufrichtig und überzeugend. Da ist nichts aufgesetzt, der Mann weiß wovon er singt! Das wird ganz deutlich bei seinem Lied über ein drogensüchtiges Mädchen, das sein Zuhause sucht und dennoch mit den Worten "Ich kann fliegen ..." aus der Kälte und Teilnahmslosigkeit seiner Umwelt in den Tod springt...

Daß auch Show- und Spezialeffekte hilfreich sein können wenn sie nicht zum Selbstzweck degradiert werden, wurde in seinem Anti-Kriegslied im wahrsten Sinne des Wortes knallhart demonstriert. Das MG-Feuer aus den Boxen und das Lichtgewitter frontal von der Bühne jagte den Zuhörern einen nicht nur ohrenbetäubenden Schock ein ... Lustig und voller Gags dagegen seine Parodien auf Rockstars und Disco-Welle - im weißen Bademantel!

Kinderlieder gab's diesmal nur in seiner Muttersprache, wohl auch aus Vorsicht, nicht wieder ins alte Klischee zu rutschen. Als sich van Veen schließlich dazu hinreißen ließ, zwei seiner neueren Lieder vom Blatt vorzusingen und ihm auch noch ein Live-Patzer unterlief, signalisierte er damit ehrliche Spontanität und hatte das tosende Publikum längst im Sturm erobert. Es war ein gutes, ehrliches und auch ermutigendes Konzert, das auch so manchen kritsichen Zuhörer überzeugte. Einen solchen Abend wünschte man sich in Celle öfter ...

Aber ohne die vielen Helfer im Hintergrund wäre niemals ein van Veen in Celle auf die Bühne geklettert! Kommentar von Stadtjugendpfleger Nitsche: "Es war die beste Crew, die ich bisher hatte!" Für dieses bisher größte Saalkonzert in Celle waren zwanzig Helfer am Freitag je sieben Stunden und am Sonnabend ab 8.30 Uhr im Einsatz. Am Sonntag mußte die Halle wieder so aussehen, als hätte es ein van- Veen-Konzert nie gegeben. Um 8 Uhr begann dort nämlich die Norddeutsche Senioren-Meisterschaft im Volleyball. Das bedeutete für die Helfer - überwiegend Pfadfinder sowie Mitarbeiter des Sportamtes und Maltheser-Hilfs- dienstes einen Einsatz bis in die frühen Morgenstunden.

Basketball-Vorrichtungen, Zeit-Tafeln und Ergebnisanzeigen wurden abmontiert. Die gesamte Verglasung der Halle wurde mit schwarzer Folie verklebt, da wegen der Lichteffekte absolute Dunkelheit zu herrschen hatte. Das heißt: 36 Oberlichter mit jeweils vier und zwei Meter Fläche und die Rundumverglasung in der Halle. Insgesamt 420 Quadratmeter. Die 120 Quadratmeter große Bühne wurde am Freitag vom Jugendamt per Inter-Rent selbst aus Wuppetal geholt. 60 Teile mit zusammen drei Tonnen Gewicht. Sie mußte am Montagmorgen natürlich wieder zurückgebracht werden. (Eine derartig große Fläche war nirgends näher entleihbar, auch nicht in Hannover oder Hamburg!)

Der 73 000 Mark teure Steinway-Flügel kam aus Hannover. Es ist ein sogenanntes D-Modell (2,75 Meter), das auch an die Stadthalle Hannover verliehen wird. In Celle gibt es so etwas nicht.
Fazit: Der größte Aufwand, den zumindest die Jugendpflege je für ein Konzert betrieben hat. und das waren seit 1972 (laut GEMA) über 100.

Wahrscheinlich muß man wirklich schon ein bißchen verrückt sein um so etwas zu tun!



Mügge-Luttermann