Neue Zeit
Ralf Schüler

Der Osten hat noch Schulden bei mir

Herman van Veen setzt Menschlichkeit gegen Apathie und verlorenes Selbstbewußsein

30. Maerz 1993

Selbst wenn er nachdenklich ist, scheint Herman van Veen zu lächeln. Schwer vorzustellen, daß dieses Gesicht mit den wachen Augen unter der hochgerückten Stirn je zornig sein könnte oder niedergeschlagen. Die Konzerte, die der heute 48jährige Holländer aus Utrecht noch bis zum 3. April in der Berliner Hochschule der Künste gibt, sind wieder ausverkauft. Ausverkauft wie damals, als einige Kilometer weiter östlich vor der Werner-Seelenbinder-Halle in der Hauptstadt der DDR Tumulte loszubrechen drohten wegen des schmalen Kartenkontingents für den öffentlichen Verkauf.


Bei manchen Künstlern kommt man im Gespräch um die Vergangenheit nicht herum. Auch van Veen war ein wunderbarer Lichtblick, wenn er im Abstand von drei Jahren hin und wieder mal im östlichen Deutschland auftrat. Ein Hoffnungsträger, dessen empfindsame Lieder nicht zu irrealen Kuschelsongs verkamen, sondern Zündfunken wurden für eine erstaunliche Klarheit in der Weltbetrachtung. Auf die Bühne getragene Menschlichkeit ließ die Menschen aus allen Teilen der DDR herbeiströmen in der Sehnsucht, einen kurzen Augenblick lang an jenem freien Geist teilzuhaben, der im eigenen Lande von der muffigen Enge des Dogmas erstickt wurde.

„Nur einmal hat man versucht, auf mein Programm Einfluß zu nehmen“, sagt van Veen und fläzt sich in brauner Strickjacke über weißem Leinenhemd in den knarrenden Stuhl des Hotelsalons. „Es hat dann immer einige Anstrengungen gekostet, wieder einzureisen.“-, Diskussionen, daß sich auch Künst-ler diskreditiert hätten, die dem „Unrechtssystem DDR“ einen Besuch abstatteten, kann er nicht verstehen: „Leute, die unterdrückt und eingesperrt sind, muß man doch besuchen, wenn man es kann.“ „Laß uns nie mehr im Dunkeln lieben“, heißt es in einem Lied des neuen Programms. Ist es für den immer mit wacher Aufgeschlossenheit lauschenden Sänger heller geworden, seit der real existierende Sozialismus verschwunden ist?

„Es ist heller geworden, aber nicht ungefährlicher. Es gibt mehr Möglichkeiten heute. Viele haben es heute zu eilig und vergessen über die großen Erwartungen, was die Alternative zu den Veränderungen gewesen wäre: Krieg.“ Er schlürft seinen dickflüssigen, eben gepreßten Orangensaft und denkt einen Augenblick lang nach. Die neuen Spannungen in Deutschland hat er beim Konzert selbst erlebt. W'er aus der DDR im Saale sei, habe er gefragt. Die gebe es nicht mehr, war die Antwort, doch, doch, sie sei sehr wohl noch vorhanden, rief jemand anderes dazwischen. „Wir nennen sie Ossis“, habe jemand eingeworfen, worauf ein anderer sich empörte, daß man sich nicht so nennen lasse. „Etwas weiter, und es wäre zur Schlägerei gekommen.“

Im gleichfalls neuen Lied „Grand Hotel Deutschland“ zeichnet van Veen ein wenig gemütliches Bild vom germanischen Luxusdomizil. Hat er Angst vor dem großen Nachbarn? „Das ist einfach die Realität. Da gibt es ein Wahnsinnspotential in diesem Land, das zu den reichsten der Welt gehört. Früher gab es die RAF, heute hat sich das auf verschiedene Ebenen verlagert. Der Faschismus lebt, ist noch da, und das ist am furchtbarsten für die alten Leute, die dachten, das passiert nie wieder, und nun passiert es doch wieder.“ Ist die multikulturelle Gesellschaft also eine Illusion? „Zivilisation ist ein ganz dünner Firnis; die Tiere sind noch sehr wach darunter.“

Nein, bei aller Nachdenklichkeit bringt man diesen Mann nicht zum Aufgeben, wird in ihm die Depression keine Herberge finden. Ein kurzer Scherz für die Kellnerin, die den Toast mit Lachs bringt, dann ist er wieder bei der Sache. Es ist vor allem die Apathie, das verlorengegangene Selbstvertrauen der Menschen, was van Veen beschäftigt. „Sie wählen nicht mehr und überlassen den Radikalen das Feld.“ Daß man jetzt auch im Osten die Dm gebeim Namen nennen kann, sei ein größerer Fortschritt, als viele glaubten: „Verstehst du, wenn das Wasser vergiftet ist, wird es nicht sauber, wenn ich sage, daß es vergiftet ist. Aber ich brauche es nicht zu trinken.“

Und die Musik? Neben all den politischen Problemen gerät seine Kunst leicht ins Hintertreffen. Daß van Veens Lieder lauter, fröhlicher geworden sein sollen, wischt er mit einer eiligen Geste beiseite. Auch heute gibt es noch sehr viele stille Stücke, nur haben sich Instrumente und die Technik geändert. Die Hammond-Orgel der frühen Platten war so charakteristisch für die Zeiten damals, daß man sie heute kaum noch benutzen kann, und der Mann mit der Tuba, der noch auf der in der DDR erschienenen Amiga-LP lustig dreinhupte, wollte lieber in einem Sinfonieorchester spielen. „So einen guten haben wir nicht wieder gefunden.“ •

Übrigens: Im Osten haben noch etliche Leute Schulden bei van Veen. Als er auf der Pressekonferenz vor seinem Konzert in Ostberlin am 9. Oktober 1989 um 100 Mark wettete, daß die Mauer fallen würde, war er sich ganz sicher.. „Ich wette nur, wenn ich weiß, daß ich gewinne. Es haben aber nur sieben Leute bezahlt. Das ist eigentlich schade: Früher habe ich die Ostgage immer am Flughafen getauscht. Für 100 Ostmark gab es acht Gulden. Heute ist die Ostmark schon mehr als 100 Gulden wert...“ Und ein unbeschreibliches Grinsen verbindet beide Ohren.



Ralf Schüler