Flenschburger Tagblatt
Joachim Pohl

Schwarz sehen und hören

3000 Menschen waren fasziniert von Herman van Veen

30. Maerz 1992

FLENSBURG. Als das Publikum schon zu Hunderten seine Garderobe abgeholt hatte, als das Hallenlicht schon brannte und der schwarze Vorhang zu sagen schien: „Es ist Schluß!“, forderten die Hartnäckigsten unter den 1600 Besuchern stehend weitere Zugaben. Und sie wurden belohnt: Herman kam noch einmal heraus und sang eines seiner schönsten Lieder: „Ich lieb’ dich noch.“ „Moi aussi“, rief ihm eine Frau zu und sprach damit den anderen aus der Seele. Zwei Abende gastierte der geniale Niederländer van Veen im ausverkauften Deutschen Haus.


Schwarz war die vorherrschende Farbe des Abends. Als sich der schwarze Vorhang öffnete, betraten drei Herren in Schwarz die Bühne, von denen einer einen schwarzen Schirm und einen schwarzen Koffer trug. Wie ein schwarzer Faden zogen sich makabre Scherze, poetische Bösartigkeiten und düstere Erzählungen durch Herman van Veens neues Programm, mit dem er seit dem 10. März auf Tournee ist — als wollte der sanfte Sänger für immer Abschied nehmen vom Image des traurigen Troubadours und des zärtlichen Zauberers.

Natürlich hatte Herman van Veen im Zugabenblock wieder „ein zärtliches Gefühl“, aber den kleinen Fratz auf dem Kinderrad verkniff er sich. Statt dessen verka-lauerte er Nachrichten („Feuer im Krematorium. Ein Toter.“), führte imaginäre Gespräche mit seiner Mutter („Du willst dich einäschern lassen, Mama? Geh zum Seniorensport, lauf’ dich schon mal warm“) und markierte theatralisch einen Sterbenden. Was jedoch aus dem Munde jedes anderen wie platte Witze klingt, dem nimmt er durch seine unnachahmliche Art die Spitze und läßt die Gürtellinie als moralische Grenze vergessen.
Wenn Herman van Veen die Hosen runter läßt und Pobacken-Gymnastik vorführt oder hinter einem vorgehaltenen Tuch eine gewaltige Erektion andeutet, dann wirkt es bei ihm nicht geschmacklos, sondern allenfalls frech und vor allem sehr komisch.

Denn trotz seiner derben Späßchen, die er sich zum Teil bei Jango Edwards abgeguckt haben mag, bleibt Herman van Veen in ersten Linie Poet, Clown, Sänger und Schauspieler. Das Wunderbare seiner Kunst liegt in dem Kontrast zwischen den kleinen Gesten, den Blicken, den Andeutungen und dem Grotesken, Wilden, Verrückten.

Sein neues Programm ist zwar keineswegs unpolitisch, aber es ist nicht eindeutig. Er singt vom „Grand Hotel Deutschland“ und verschiebt ein ums andere Mal sein Lied „In jedem von uns steckt ein Stasi“. Und sein Kommentar zur Wiedervereinigung ist ein Witz: „Ein Ossi-Hund und ein Wessi-Hund bepinkeln sich in Berlin. Einer fragt: .Stand hier früher nicht etwas dazwischen?“

Im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte bewegte sich Herman van Veen nach und nach weg vom Liedermacher und hin zum All-round-Darsteller, der, würde er nicht in riesigen Hallen auftreten, in nahezu perfekter Weise das Genre der Kleinkunst vertritt. Dennoch komponiert er nach wie vor sehr schöne Lieder, zu denen Thomas Woitkewitsch, Heinz Rudolf Kunze oder er selbst die Texte schreiben.
Von Beginn seiner deutschsprachigen Karriere an war Erik van der Wurff sein musikalischer Wegbegleiter, der nicht nur ein hervorragender Pianist ist, sondern sich auch blind mit van Veen versteht und in die Show mit-einbezogen wird. Außer dem Saxophonisten Nard Reijnder gehörten noch zwei Tänzerinnen zum Ensemble. In drei oder vier Jahren will er wiederkommen, versprach er dem Publikum vor seiner letzten Zugabe.



JOACHIM POHL