Westfalische Nachrichten
MICHAEL PLASSMANN

Ein mutiger Träumer

Herman van Veen in der Halle Münsterland

29 nov 1988

„Einem Herman van Veen kommt man beschreibend nicht bei; mag die Rekonstruktion des von ihm Geleisteten, seiner verwirrend vielfältigen Aktivitäten in nahezu sämtlichen Sektoren künstlerischen Ausdrucks gerade noch gelingen, so verfehlt man doch mit Gewißheit das innerste Anliegen seines mäandernden Werks, wenn man diesen rastlosen Romantiker mit dem Zauberstab des Begriffs zum eingefrorenen Stillstand zwingen will.“ -Kein anderer als Deutschlands phantasievoller Rock-’n’-Roller Heinz-Rudolf Kunze schrieb’s Herman van Veen als Willkommensgruß in dessen Programmheft. Schwere Zeiten für Konzertkritiker, die weder Spinozapromoviert noch Kenner der griechischen Sage sind und statt Zauberstäben auf herkömmliche Schreibmaschinen zurückgreifen müssen.


Unter dem Titel „Bis hierher und weiter“ hat der 43jährige Holländer vor wenigen Wochen seine große Europatournee gestartet, die ihn drei Tage in eine restlos ausverkaufte Halle Münsterland führt. Statt einer Jagd auf Konzert-Orte hat sich der Unicef-Botschafter darauf konzentriert, in einigen Städten über mehrere Tage zu gastieren. Eine vernünftige Entscheidung, die den Künstler von dem oft spürbaren Druck befreit, noch in derselben Nacht den nächsten Tourneetermin anzusteuern.

Bei Herman van Veen ist manches anders. Genau so schlaksig wie gutgelaunt betritt er die Bühne. Weißes Hemd, schwarze, eher kniebundlange Hose, weiße Schuhe (solche, die eigentlich sonst ganz andere Charaktere bevorzugt tragen), die rote Clown-Nase unter seiner hohen Stirn, Augen, die manchmal die eines Lausbuben, dann die eines Träumers sind. Es folgt ein Feuerwerk aus Gesang, Tanz, Musik, Schauspiel und Zauberei in allen Formen, Farben und Variationen. Herman van Veen ist ein glaubwürdiger Künstler, nicht nur wegen seiner zahlreichen Bühnenaüs-zeichnungen und Preise für humanitäre Leistungen. Er ist in der Lage, heikle Themen anzusprechen: „Ich bin heute so glücklich, daß ich mit Ihnen über das Sterben sprechen möchte. Ich habe eine Karte verschickt, .Herman stirbt, kommst du auch?“...“ Dann verschwindet er in einem sargähnlichen Koffer, die holländische Flagge im Miniformat auf Halbmast -und doch, er kommt wieder, wie einer, der viel zu viel Mut hat zu sterben.

Ein Künstler, der anders als sein schachbrettartiger Zaubermantel nicht in Kategorien von Schwarz und Weiß denkt. Einer, der zwar 5-nach-12-Katastrophen unserer Zeit thematisiert, dabei aber ein mutiger Träumer bleibt. „Wenn ein Mensch träumt, ist es ein Traum. Wenn viele träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit.“ Herman van Veen ist die künstlerische Interpretation dieses brasilianischen Sprichworts.

Das Auditorium aus jung und alt in der theaterförmig hervorragend bestuhlten Halle Münsterland (zeigt Jovel-Konkurrenz Wirkung?) ist beeindruckt, läßt sich einnebeln von dieser sprühenden Hoffnung, wirkt wie infiziert, läßt Herman nach dreieinhalbstündiger (!) Darbietung nicht gehen`.


Frei nach Herman van Veen:
„Du hast mir furchtbar gut gefallen.“



MICHAEL PLASSMANN