Hildesheimer Allgemeine Zeitung
zv

Eigen-artig und individuell

Harry Sacksioni mit Gitarren-Soloprogramm in „Vier Linden“

29. November 1988

(zv) Er spielt, wie er ist und was er ist. Die Identität von seiner Musik und seiner Person ist ungewöhnlich. Als ehemaliger Wegbegleiter Hermann van Veens hat er sich inzwischen längst eigenes-Profil verschafft. Und dabei ist seine Musik stilistisch kaum einzuordnen oder zu fassen. Obwohl sie von einem ganz individuellen Charakter - einem roten Faden gleich -durchzogen wird. Die Rede ist von Harry Sacksioni, dem Amsterdamer Gitarrenposten, dem Autodidakten, dem Klang-und Rhythmusvirtuosen.


Die Musik, die er schreibt, scheint ihm aus der Hand zu wachsen oder zumindest aus der Badewanne („Badewannenblues“). Sie ist verspielt, ansteckend und einheizend. Ihr Ansatz ist menschlich, direkt, persönlich. Ihr Stil bewegt sich zwischen Ragtime, Bluegrass, Folk, Jazz und Klassik.

Die ganz persönliche Note des Niederländers liegt jedoch in der Verbindung all dieser Richtungen zu (s)einem Stil. Seine klassischen Stücke sind nicht klassisch, sein Blues ist kein echter Blues. Wen wundert es bei so vielen Einflüssen und Stilrichtungen noch, wenn er mit sechs verschiedenen Gitarrentypen, von elektrischer bis akustischer, agiert.

Auch seine Spieltechnik ist mehr als unkonventionell. So sitzt er da, umlagert von einem Wald an Gitarren. Scheint sein ganzes Repertoire und Register geistig abzuklappern und legt dann einfach los. Ein groovender Baß, eine Melodie und ein paar Harmonien dazwischen, garniert mit Pickings (Zupfmuster) und mit allen möglichen technischen, akustischen und per-cussionistischen Effekten - fertig ist der „Zuckerwattenblues“, los geht die „Krötenwanderung“.

Die Harmonien und Disharmonien sind reizend, schmeichelnd, manchmal anbiedernd oder augenzwinkernd. Das dynamische Band ist breit und vielseitig. Wenige Male meinte es der ansonsten perfekt organisierte technische Rahmen etwas zu gut - die Verstärkung war einfach zu laut. Auch Sacksionis Klang ist mitunter zu metallisch, zu hart. Humor hat der Saitenkünstler jedenfalls, auch wenn der nicht immer beim Publikum ankommt. Vielleicht waren seine Bemerkungen manchmal etwas zu direkt formuliert oder es lag an sprachlichen Barrieren. Dennoch gewann er die Sympathie der Zuhörer. Das mag er seiner kommentierenden Mimik verdanken oder seinen (Psycho-)Spielen mit dem Publikum, in denen er dessen musikalische Kenntnisse und Fähigkeiten testet und damit seine Scherze treibt.

Er scheut auch nicht den Einsatz von selbstgeschriebenen Zeichentrickfilmen in Kombination mit seiner Musik. Diese waren zwar etwas banal und naiv in Aufmachung und Aussage. Aber sie zeugen von politisch-gesellschaftlichöm Engagement, das Sacksioni mit seiner Musik verfolgt. Dieses Engagement macht auch nicht vor Themen wie Chile, dem Papst oder Strauß halt.

Sacksionis Musik ist mitreißend und sprudelnd. Sie ist aus dem Leben gegriffen, aus dem Alltag herauskomponiert.


Und das ist ihre unverkennbare Dimension: eigenartig und individuell.



zv