Bremer Nachrichten
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Veen sitzt dauernd im Wechselbad

29 okt 1977

"Unter uns" heißt das neue Tourneeprogramm von Herman van Veen. Dienstag und Mittwoch war man im großen Glockensaal ganz gewiß unter sich, das junge Publikum stand noch vor dem ersten Klingelzeichen als Startschuß zur Vorstellung voll auf seiten des holländischen Künstlers und seiner perfekten Truppe, die in der zumeist etwas unterkühlten Hansestadt einen enthusiastischen Freundeskreis gefunden haben.


Der Musiker, Sänger, Rezitator, Darsteller, Parodist, Pantomime, Filmemacher für Kinder, der liebenswerte Clown Herman van Veen ist fester Bestandteil der holländischen Kabaretszene. Dort, wo man bei aller Toleranz Gefule höchst ungern zeigt, Seelenstriptease verachtet -- was bis heute eine nennenswerte holländische Lyrik, Prosa oder dramatische Kunst verhinderte -, dort ist das Kabarett als institutionalisierte Kritik geradezu herausgefordert. Wo starke gesellschaftliche und soziale Normen ausgeprägte Individualisten einengen, da muß es ein Ventil geben. In Holland heißt es Kabarett, und einer seiner Stars Herman van Veen. Bezeichnend vielleicht, daß solch ein Mann auch in Bremen Triumphe zu feiern vermag.

Am 15. März in Utrecht geboren, studierte der Typographensohn Violine und Gesang und gab schon während der Lehrjahre am Konservatorium Liederabende mit Laurens- van Rooyen, der noch heute bei iljm am Klavier sitzt. Vor den Pausen als Sänger mit Schuberts "Winterreise", danach Bachs "Geigenpartien". Irgendwann Mitte der 60er Jahre hatte er die Vision vom blutleeren, frühalten Geiger. Also Szenenwechsel.

Noch vor dem Konservatoriumsexamen erregte Herman van Veen in ganz Holland Aufsehen mit dem Kabarett-Programm "Musik-joke", dessen Grundidee auch sein aktuelles Bühnenprogramm bestimmt: Irritieren mit Inspiration, Umdenken durch Andersdenken, Unterhaltung. Seine sozialen und pazifistischen Ideen kommen auf leisen und witzigen Tönen fast unbemerkt in den Hinterkopf, und bevor man die Sache logisch anpackt, lenkt er mit seinem Gag vom tiefsinnigen überlegen ab.
Exakte Choreographie und scheinbar Ungekünsteltes ist in dieser Perfektion das einzig Amerikanische. Ansonsten Eigenbau, ausgetüftelt im Harlekijn-Clan. Van Veen im Spotlight, seine Freunde meist im Dunkeln. Ist dann aber Raum für ein Solo, dann brillieren Erick van der Wurff an Orgel und E-Klavier, der Gitarrist Harry Sacksioni, der Pianist Laurens van Rooyen und Hans Koppes mit seiner Tuba.

Herman van Veen lehnt es ab, die künstlerische Arbeit mit seinem sozialen Engagement in Zusammenhang zu bringen. Interviewt man ihn in Sachen Bühne, fällt kein Wort über die praktische Seite seines "zärtlichen Gefühls" für Underdogs und Outsider, Randfiguren oder ganz einfach Vergessene. Dabei ist er Vorsitzender der niederländischen Sektion der weltweiten Kulturorganisation UNESCO und damit ständig im Wechselbad zwischen Engagement und Bürokratie. Ganz ohne Papier geht es auch bei "Harlekijn" nicht ab, einer Kunst- und Kommunikationsfirma. Seit 1968 arbeitet van Veen dort mit Freunden. Systematisch werden junge Maler, Musiker und Schauspieler gefördert und seine eigene Schau vorbereitet. Neben der eigenen Konzert- und Tourneeagentur steht den Harlekijns auch ein Buch- und Musikverlag, ein Schallplattenladen und eine Monatsschrift zur Verfügung. Van Veen bezieht als Angestellter ein Direktorengehalt, über die Höhe schweigt man sich bei Harlekijn allerdings aus.



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