Stuttgarter Nachrichten
Peter Kümmel

Herman van Veens Show im Beethovensaal der Liederhalle

Sterben in Stuttgart?

29 apr 1986

Mit Herman van Veen (Bild) ist man sofort auf Duz-Fuß: Wir dürfen ihn Herman nennen, er nennt uns „Stuttgart“. Ein biegsamer Clown in Schwarz, mit Turnschuhschritt und Zylinder, der die weichste aller Sprachen spricht: Kuschel-Holländisch. Seine Band webt ihm dazu einen „Klangteppich“, in den man bis zu den Knien einsinken kann: Soundwolken sind’s eigentlich, gemacht aus Synthie- und Bläser-Klängen.


Die Luft riecht nach Schminke, ein verheißungsvoller Geruch. Van Veen ist mindestens so sehr Theatermann wie Musiker, seine Tänze, Geschichten, Pantomimen sind Aphorismen, mit dem ganzen Körper gespielt.
Eine wundervolle Tennis-„Zeitlu-penstudie“ etwa (van Veen im hoffnungslosen Kampf gegen einen herumschwirrenden Scheinwerferkegel) wiegt eine ganze TV-Nacht mit Boris Becker auf. Van Veens Spiel ist eigentlich ein Tanz mit dem Tod, ein Ringelreihen ums Nichts, absurd und feierlich zugleich. Ein Clown vorm tiefdunklen Hintergrund der Apokalypse. Ein gläubiger Atheist, der bissig mit einem Gott flirtet, auf den er nicht gut zu sprechen ist („Ich hab’ mit renommierten Detektivbüros zusammengearbeitet, um ihn zu finden“).

Mal tanzt van Veen den eleganten Adler, mal den flatternden Kolibri. Immer besteht alles nebeneinander: Priesterliche Würde und Chaplins Stolpern, Meditation und Slapstick-Sahnetorte, Gefühl und Schwulst, die Lächerlichkeit des Weltalls und die Erhabenheit einer Fliege. Was bei anderen kitschig klänge, serviert er so, daß sich das Publikum im nahezu ausverkauften Beethovensaal ergriffen räuspert. Er hat uns so souverän im Griff wie ein tausendfingriger Marionettenspieler.

Sein eigentliches Thema: die Angst. Er zeigt uns, wovor wir Angst haben und verwandelt diese Angst in Gelächter und Trotz. Ein großer Tröster auch, der uns beim Bühnenabgang mahnt, „vollkommen wehrlos zu lieben“. Von dieser Lebenshilfe' können wir gar nicht genug kriegen: Van Veens Zugabenteil dauert eine Stunde. Mit unseren Todesängsten spielt er wie ein Kind, fürchtet sich stellvertretend für uns: In den Himmel will er nicht, da wär’ er ja ganz allein.
Und heute abend sterben, „so nutzlos auf einer Bühne“, das möchte er schon gar nicht. Und überhaupt: „Überall sterben, aber doch bitte nicht in Stuttgart!“ Da läßt er sich schwer zu Boden fallen, und beinahe müssen nun wir ihn trösten: Ach Herman, steh doch wieder auf.

In Stuttgart sterben - das wollen wir doch alle nicht.



Peter Kümmel