Schwäbisches Tagblatt
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Kahler Sänger mit Violine

Multitalent Hermann van Veen drei Stunden im Festsaal

29 apr 1982

Eines muß man ihm lassen, dem 1945 in, Utrecht geborenen Multitalent und Entertainer für die gehobene Mittelschicht: Hermann van Veen bietet seinem Publikum rein physisch ;über drei Stunden hinweg ein einziges artistisches Feuerwerk an clownesken Harlekinaden, pantomimischen Slapsticks und lautmalerischen Impressionen.


Seit der holländische Schauspieler, Sänger, Geiger, Tänzer und Komiker 1969 erstmals in Deutschland auftrat, ist seine Fangemeinde und sein künstlerischer Output ständig gewachsen. Ein Dutzend Platten, neun Bücher, zahlreiche Filme, Theaterproduktionen und Ballettmusiken zieren die imponierende Erfolgsbilanz. Und wo noch vor zwei Jahren im Tübinger Uni-Festsaal erhebliche Lücken im Publikum klafften, saßen jetzt am Montag die Fans dichtgedrängt selbst am Bühnenrand.

Van Veen ist als dauerbrennender Unterhalter sicher ein Phänomen. Seine Mimik, sein Bewegungsablauf, seine Körpersprache sind perfekt getimt und in ihrem pointierten Zusammenspiel fast traumwandle- risch sicher auf einen Punkt, nämlich die Überraschung des Gags oder das frappierende Sich-Wieder-erkennen des Zuschauers im Spiegel der Karikatur zugespitzt. Die imaginative Intensität dieser Bühy nenshow ist bestechend, und wenn man bedenkt, daß Tübingen die vorletzte Station einer 107 Auftritte umfassenden Mammut-Tournee war, kann man die Vitalität dieses Artisten nur bewundern.

Als Chansonnier wirkt Hermann van Veen dagegen häufig wie ein pathetisch verquaster Philosoph. Seine Lieder, meist in Moll gestimmt, traktieren das kleine Milieu, aber auch die weltumspannenden Probleme dieses Planeten - den er gleich noch symbolisch als farbig illuminierten Ballon über der Bühne schweben läßt.
Die Themenpalette dreht sich um gängige Problemzonen: Familie, Ehe, Außenseiter wie Kinder und Schwule, Rüstungsangst. Van Veen besingt in gedämpften Zwischentönen Verletzung und Trauer. Liebe und Zärtlichkeit - und streut dann und wann eine Handvoll Reis als Glücksbringer wie Konfetti ins Publikum.

Sympathische Marionetten des Alltags, wie du und ich, werden da gezeichnet, Käfige unser aller Routine vorgeführt. Und dann vor allem die Hoffnung, die Einsicht, die van Veen nicht müde wird zu beschwören. Auf der schwarz ausgeschlagenen Bühne entwirft der Sänger, ganz in weiß, eine kunstvoll-gefühli- ge Choreographie der Seelennot und Weltenpein, aber auch der Traumwelt: "Ich hab ein zärtliches Gefühl für den, der sich zu träumen wagt".

Soviel intime Zwiesprache dankten die Fans dem Star, diesem Sympathiebolzen und intellektuellen Durstlöscher für Anspruchsvolle, der sich volksnah immer wieder mal durch die Stuhlreihen zwängte, mit erheblichen Ovationen. Einen "Erzheiligen der zartbesaiteten Klagelyrik" hat ihn der "Lästerlyriker" Hans Scheibner genannt.
Als einen "kahlen Sänger, ohne Pistole, aber mit 'ner Viole" besingt er sich selbst,und mit melancholischem Powercharme behauptet er dann auch noch, dann und wann "in den Wind" zu singen.

Nicht in Tübingen, Hermann, denn da erklatschte das Publikum Zugabe um Zugabe, die Du schließlich noch im Bademantel absolviertest, und einige sangen sogar zurück, als Du das Mikrofon prüfend ins Auditorium hieltest!



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