DER NEUE TAG
kl

Unter der Clownjacke Herz voll Liebe

Halt der Welt dein Lachen entgegen: Herman van Veen in der Meistersingerhalle

28 nov 1988

Nürnberg. „Einem Herman van Veen kommt man beschreibend nicht bei“ - das Zitat stammt von Deutschlands Vorzeige-Intellektuellem Heinz Rudolf Kunze und richtet jegliche Form der Kritik, noch bevor sie überhaupt verfaßt ist. in Her Tat stößt die Kraft des Wortes an ihre Grenzen, will man einen von dem 43jährigen Holländer gestalteten Abend (der Begriff „Konzert“ käme einer Herabsetzung gleich) zu schildern versuchen - denn wie das anstellen bei einer derartigen Fülle von Emotionen, freigesetzt von einem, dem man es nach Jahren immer noch abnimmt, wenn er sein „zärtliches Gefühl“ besingt „für jede Frau, für jeden Mann, für jeden Menschen, wenn er nur vollkommen wehrlos lieben kann“.


Dieser van Veen läßt live - und das war auch in der Nürnberger Meistersingerhalle so - zu keiner Sekunde auch nur den geringsten Zweifel daran aufkommen, daß er unter seiner viel zu großen Clownjacke tatsächlich ein Herz voll Liebe trägt, eine Fähigkeit, zu der er auch sein Publikum binnen drei Stunden anzuleiten vermag.
Und die Botschaft wird verstanden, vom „Gruftie“ ebenso wie vom gesetzten Familienvater; beide sehen sie sich von diesem Seelendoktor (im positivsten Sinne) in gleicher Weise dazu animiert, das eigene Ich zu reflektieren ... mit zumeist erstaunlicher Wirkung: Regelrecht „geläutert“ ist man hinterher, damit beschäftigt, eben vernommene Botschaften zu verarbeiten (derer es einmal mehr viele gab). Und die vielleicht wichtigste: Halt dieser Welt dein Lachen entgegen und sie wird dieses Argument durch nichts, gar nichts entkräften können.

Die laufende „Bis hierher und weiter“-Tour van Veens ist denn auch nicht mehr wie manche ihrer Vorgänger melancholielastig, sondern baut heute mehr auf eine ausgewogene Mixtur aus prustender Komik und manchmal sicher auch traurigen Szenen... Stichwort Komik: Sein Boris-Becker-Zeitlupen-Match „Spiel, Satz, Sieg“ ganz in Weiß und mit zerfetztem Tennisschläger trug dem Holländer zum Schluß besonders verdiente Ovationen ein und zeigte so nebenbei die äußerst genaue Beobachtungsgabe dieses Mannes, dessen kleine Handpup-pen-Ausgabe zum krönenden Finale noch eine regelrecht umjubelte Steptanz-Einlage mit seinem Herrn und Meister hinlegte - daß danach die Sympathiewellen noch höher schlugen, wen wundert’s? Antwort: van Veen selbst („Wollt ihr denn noch nicht nach Hause? Ist es da so ungemütlich?“).

Der kokettiert mit dem Applaus und beendet seinen Auftritt mit einem Hinweis, der bezeichnend ist für diese personifizierte Menschenliebe: „Es ist wahnsinnig glatt draußen, fahren Sie vorsichtig, denn in zwei Jahren bin ich wieder auf Tournee, und dann wollen wir uns doch alle hier Wiedersehen.“ Bei jedem anderen hätte man hinter einem solchen Satz eine platte Floskel vermuten müssen - bei van Veen spürt man einfach, daß er in der Tat niemanden aus seiner großen Familie (bei der letzten Tour waren es 400000) verlieren möchte ..., und die wird noch monatelang von dem eben Gehörten und Gesehen zehren können. Danke, Herman! (kl)



kl