THÜRINGISCHEN LANDESZEITUNG
Dieter Zumpe

Der sich zu träumen traut

Herman van Veen auf der Bühne und im Gespräch — Der Optimismus eines pessimistischen Realisten

28 nov 1987

Im Schnitt 150 Auftritte pro Jahr. Herman van Veen bereiste bisher Europa und Übersee. Sein Wunsch: nach dem DDR-Gastspiel — u. a. am Sonntag in Weimar — in weiteren sozialistischen Ländern aufzutreten. Beeindruckend die Produktivität: ca. 40 Schallplatten, vier Filme, Bücher, das Kindermusical „Die seltsamen Abenteuer der Ente Alfred Joducus Quak“, für das sich Japan interessiert, um danach einen Trickfilm zu drehen . . . Die von ihm 1968 gegründete Multimedia-Produktionsgesellschaft „HARLEKIJN HOLLAND“ ist in Westbroek zu Hause; van Veen ist Vater von vier Kindern. Aktiv bei der UNICEF, Inhaber des „Pädagogischen Friedensstuhls“ der Amsterdamer Universität.


Da ist einer, der sagt: Ich bin! Mit mir müßt ihr rechnen. Mir könnt ihr so leicht nichts vormachen. Ich will wissen, worum es in dieser Welt geht und was ich dabei soll.
Ich bin: das ist Herman van Veen, der Clown und Philosoph, der Liedersänger und Komödiant, der der Zauberer mit den Worten und Gesten, unser Nachbar und Freund; ein Mensch. Er hat ein zärtliches Gefühl für alle jene, die da lieben, und er kann keinen weinen sehn. Und ei sagt’s so, daß da kein Zweifel bleibt, kein Mißtrauen in das bewegte Geschäft der Show, die er und seine Mannschaft so perfekt beherrschen, eine glänzende Inszenierung von wundersamen Botschaften.
Ich bin, sagt der Holländer selbstbewußt und läßt das Publikum einstimmen, um sich dann lächelnd abzuwenden und ironisch an die Stirn zu tippen: Denkste! So einfach ist das eben nicht. Und vergeßt’s um Himmels willen nicht so schnell, daß ihr das seid, was ihr tatsächlich sein wollt. Die Leute lachen, applaudieren und fühlen ganz hinten im letzten Winkel ihres Bewußtseins, daß das alle-! ja eigentlich ganz selbstverständlich sei: Liebe und Toleranz, Verständnis und Angst, Selbstvertrauen und Mitgefühl.

Sie fühlen das so sehr, daß der burleske Clown Herman sich zu fliegen getraut. Getragen nur von dem Polster positiver Energie in den Köpfen seines Publikums, wie er sagt. So steigt er hoch hinauf, korrigiert vorsichtshalber den Startplatz seiner Utopie auf die halbe Höhe des Pianos — und stürzt zu Tode. Auch diese Hoffnung wird, wie üblich, in einem schönen Sarge bei schöner Musik begraben, und der tote Herman sieht zu und fühlt sich so merkwürdig frei und will es seiner Mutter erklären, die ihn nicht hört.
Ist es in dieser bis an die Halskrause mit Vorurteilen und Dogmen, Macht-anspruch und Egoismen tödlich bewaffneten Welt wirklich so schwer geworden, sich gegenseitig noch zu vernehmen, einander zuzuhören ohne Besserwisserei und Belehranspruch, sich vertrauensvoll ins Auge zu sehen und Gesicht zu zeigen ? Menschengesicht statt darauf erstarrter Masken?

Nach umjubeiten Auftritten in Dresden und Leipzig beendete Herman van Veen sein erstes DDR-Gastspiel — zuvor war er nur in Berlin aufgetreten — jetzt in der dicht von seinen Verehrern umlagerten Weimarer Kongreßhalle. Die da ohne Karten draußen standen riefen laut nach ihrem Herman, und der sorgte fürs Wunder, dieser possenrrr-ri»r.«j vieles in einer Person sein kann und doch immer nur er selbst ist: Ich bin, Du bist, wir sind ...

Wer wir allesamt sind, sein möchten und gelegentlich auch sein können, das bildet iiin einem spielerischen Dialog mit sich und seiner Mitwelt das ständig verwandelte und Wer wir allesamt sind, sein möchten und gelegentlich auch sein können, das bildet in einem spielerischen Dialog mit sich und seiner Mitwelt das ständig verwandelte und daher so inspirierend wirkende Programm. Und das wiederum ist eine Art Gruppentherapie in Selbsthilfe, ein autogenes Training für kaltgestellte Gefühle und formierte Gedanken zwecks menschlicher Erwärmung und Annäherung. „Ich hab ein zärtliches Gefühl für den, der sich zu träumen traut ... “ Leitmotivische Erkennungsmelodie, und immer wieder stürmischer Beifall. Ist es Ihnen auch so warm, fragte der sichtlich erschöpfte Herman am Schluß hintergründig vom Stühlchen herab und gibt zum letzten noch ein allerletztes Lied dazu.

All jene, die „ihren Herman“ nur von der Platte her kennen, waren ei -staunt, wie laut und wie verspielt dieser Meister der leisen, intimen Töne sein kann. Wie er mit Gags und tänzerischen Einlagen die Bühne füllt, pantomimisch splendide Zeitgenossen wie etwa einen fernsehbe-kannten Tennisstar bis zur Zeitlupenparodie verulkt, mit routinierter Geste scheinbar alle Sprachen der Welt beherrscht und im Tonfall imitiert. So jongliert er ständig Leben und fällt ganz unvermittelt wieder in den leisen Ton eines gefühls-starken Liedes, das wir kennen und für das wir ihn in unser Herz geschlossen haben. Erstaunlich auch der enorme technische Aufwand, die beiden Lautsprecherwände beidseits der Bühne, die ständig wechselnde Beleuchtung, das lichtfunkelnde Regiepult im Zuschauerraum, die glänzend besetzte Musik-Gruppe, die ganz unaufdringlich auch szenisch mitspielt, der Mann am Klavier.

er Anti-Star Herman vertraut der Phantasie seines Publikums, und er setzt auf die Überzeugungskraft seiner Menschenbotschaft: Ich. bin, folglich: Ihr seid! Das ist so gut vorgetragen, daß man im Grunde Mühe hat, es zu beschreiben. Denn das Eigentliche, was hier vermittelt wird, ist die Begegnung mit einem selbst, seinen Ängsten und seinen Hoffnungen. Und wenn das einer einem so direkt ins Gesicht sagt, dann zieht’s einem die Kopfhaut hoch, bis' eben doch jenes positive Energiepolster entsteht, das einen Menschen fliegen macht. Der wiederauferstandene Herman lächelt wissend und winkt wie ein Kind. Ich komme wieder, sagt er, im August nächsten Jahres.

Ihr Programm — ein Feuerwerk von Einfällen —, eben noch heitei, im nächsten Moment leise und nachdenklich ... Woher beziehen Sie Inspiration?
Ich mache nichts anderes als einen Spiegel von dem, was mir in der Wirklichkeit begegnet. Dann betone ich nur noch bestimmte Sachen, die mir wichtig erscheinen. In Dresden beispielsweise bekam ich wieder knallhart die Vergangenheit zu spüren, als ich die Ruinen aus dem letzten itrieg sah. Das traf mich wie ein Boxschlag, und es kostete mich schon Anstrengung, damit fertig zu werden, weil ich so etwas nie gc sehen habe, da ich erst 1945 geboren bin.


Meine persönliche Überzeugung ist — und wir haben in den letzten Tagen viel darüber gesprochen —, solange es noch einen Menschen auf dieser Erde gibt, der Hunger hat, solange es noch Kriege gibt, dann ist das unser Hunger, unser Krieg .. Ich glaube, daß die Menschheit erst Zukunft hat, wenn wir uns nicht als unabhängige Individuen, ob in den Vereinigten Staaten, ob in Äthiopien oder sonstwo, empfinden, sondern uns als eine gemeinsam denkende kollektive Zelle begreifen. Davon bin ich fest überzeugt; aber gleichzeitig weiß ich, daß es noch ein Traum ist. Je mehr wir voneinander wissen, je öfter wir gewillt sind, einander zu begegnen, desto schneller werden wir auch erkennen, daß wir uns nicht voneinander unterscheiden, dafür ähnliche Ängste und Hoffnungen miteinander teilen. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, auf Feindbilder zu stoßen. Sie werden von bestimmten Leuten gemacht, die nicht den Mut aufbringen, einander kennenlernen zu wollen. Und das ist das Eigentliche, worüber ich singe . ..

Ist darin nicht auch ein Bekenntnis zum Prinzip Hoffnung?
Manchmal fühle ich midi total ohnmächtig, denn diese Ängste sind bedrückend. Schützen kann ich mich davor nur mit einem Parapluie. da-ich als Clown aufspanne. Wenn ich trotzdem weitermache, dann ‘ ist es vor allem der Spaß daran. Meine Auftritte sind etwas ganz Persönliches. So ein Abend verwirrt mich. Ein Durcheinander von Angst, Panik, Hilflosigkeit und zugleich Glück. Manchmal weiß ich dann nicht ob ich uberhaupt das Recht habe, von etwas zu sprechen, was ich erfahren habe oder ein „Loch“ mit auf die Bühne zu bringen. Diese merkwürdige Ambivalenz verunsichert mich und gibt mir zugleich auch wieder Kraft, es von neuem zu versuchen.

Meine ständige Frage: Wie kann ich auf eine besondere Art und Weise mir und anderen Leuten Mut machen, den eigenen Plänen und Hoffnungen zu vertrauen, ohne in Werturteilen Bevormundungen auszusprechen. Ich möchte auch niemanden belästigen. Das ist die kolossale Schwierigkeit, die mir enorm viel Kraft abverlangt.

Beim Abgangsbiid tanzt der Künstler mit dem Tod ...

Ich will damit sagen, Gras muß wachsen, Blumen müssen blühen. Wir brauchen überhaupt nicht zu sterben; es ist ein Mißverständnis, der Tod durch Hunger und Krieg. Es klingt vielleicht idiotisch, aber ich bin nun mal der Ansicht, daß Bewußtsein etwas Kollektives ist. Manchmal denke ich, daß alles wie in einem Bilderbuch ist. Und der einzelne darin ist nicht anders als das All, in dem wir uns widerspiegeln.

Sie bezeichnen sich gelegentlich als pessimistischen Realisten.

Ein pessimistischer Realist kann auch ein Optimist sein. Die Wirklichkeit erteilt uns durch die Vergangenheit oft eine Lektion, daß wii zum Pessimismus neigen. Wenn ich etwas hinzulernte, lernte ich aus Fehlern. Wenn ich auch nur ein Gesicht im Publikum bemerke, das nicht reagiert, beschäftigt mich das in der Weise, daß ich midi frage, was ich falsch gemacht haben könnte. Weil ich weiß, daß ich ein pessimistischer Realist bin, ist es mir möglich, positiv zu wirken. Wir können uns nicht unsere Zeit auswählen, aber es müssen Verabredungen getroffen werden, sie zu verändern.

Meine Clownsmaske ist keine Lüge. Sie ist nur ein Alibi. Ohne dieses Kostüm gebe es mich nicht. Privat bleibt immer noch eine Menge: Ein Vater, der weggeht, weil er seine Arbeit wahnsinnig liebt und sich darauf freut. Ich kann meinen Kindern nichts Besseres schenken, als diesen glücklichen Vater. Breche ich von zu Hause auf, dann bin ich nicht fröhlich, trotzdem zeige ich allen, die mir lieb sind, daß ich nur gehe, um etwas Phantastiches zu unternehmen.

In der Fremde lerne ich dann Leute kennen, bei denen ich gern bleitjen würde, aber leider ...



Dieter Zumpe