NEUE OZ OSNABRUECXER ZT.
Rainer Wilde

Ein Harlekin der Hoffnung

Herman van Veen in der Stadthalle bejubelt

28 okt 1988

Er ist wieder da! Er tanzt wieder über die Bühne, steht still, mit stillen Liedern seine Zuhörer im Innersten zu packen, dröhnt phonstark schreckend in ihr Bewußtsein, stürzt sie in Wechselbäder, schlägt wieder Purzelbäume fröhlicher Menschenliebe: Herman van Veen ist auf Tournee.


Über drei Stunden spielte er am ersten seiner zwei Auftrittsabende im Europasäal der Stadthalle für sein Publikum und mit ihm, das sich entführen ließ, in erträumte Realitäten und realistische Träume, in die mögliche Utopie einer humanen Welt und in das Zauberreich heiterer Illusionen. Van Veens Kunst, eingefügt in eine professionell-perfekte Bühnenshow mit ausgeklügelteffektiver Dramaturgie und Technik, begleitet von Musikern höchster Spielkunst und Sensibilität, ist moralisierend und politisch, insistierend und beharrlich, sie ist niemals aggressiv.
Mit seinen Liedern und grotesken, symbolisierenden Szenen öffnet er die Augen für das Unrecht und Elend auf der Erde, für die Verletzungen und Verwundbarkeiten der Natur und die Beschädigungen der Seelen. („Im Kleinsten wie im Größten sind wir blind.“) Und er hat Trost für Trauer, Einsamkeit und Schmerz. Van Veen scheut sich nicht, Regungen des Herzens zu aktivieren, das Feuer brennender Gefühle zu entfachen, und er nimmt den Zuhörern die Scheu vor diesen Gefühlen, aber er tut es, ohne ihnen den Verstand zu vernebeln, sie aus ihrer Eigenverantwortlichkeit nachdenklicher Selbsterkenntnis und notwendigen Handelns zu entlassen.

Wenn er seine Geige eine Zeitung „vorlesen“ läßt, dann ist das zum Heulen komisch; wenn er mit der wehenden Fahne des Nationalismus beim machtgierig-gewaltsamen Griff nach dem Stern (der dem Zauberer reinen Herzens in die Arme fällt) die Erde in den Abgrund tritt, dann wird Entsetzen spürbar; und der Brummkreisel eines Kindes auf den Tisch der Mächtigen gestellt, weckt Rührung.

Aber wenn er, mit eindringlicher Gläubigkeit davon singt, daß es „einen gibt, den es nicht gibt“, wenn er mit „ihm“ die Liebe in ihrer allumfassenden Kraft beschwört, dann ist es, als schwebe ein Engel durch den Saal... der allsogleich über einen bizarren Witz, eine listig-lustige Pointe stolpert, purzelnd, lachend auf seine himmlische Nase fällt. Denn van Veen ist ein Clown, ein Spaßmacher und poetischer Narr, der gegen den Feind der Schwermut und Sentimentalität mit entwaffnender Fröhlichkeit zu Felde zieht, der mit naiver Lust das Leben spürt, der mit Lachen das Glück beim Schopfe faßt.
Ein Komödiant und Pantomime, der karikiert lind persifliert, mal doppelbödig scherzt, mal einfach blödsinnigalbert. Seine Parodie auf den Pop-Star-Tournee-Rum-mel ist treffsicher pointiert, seine zahlreichen Cownerien voller heiterer Überraschungen, seine deftig-„erotische“ Japaner-Story, sein pantomimisch-virtuoses Tennisspiel sind einfach zum Losplatzen komisch.

Mit seinem mahnenden „setzt jetzt ein Zeichen, ein-Si-gnal“ verabschiedete sich Herman van Veen nach schier unerbittlich endlos Zugaben erzwingendem Beifall von seinem überwiegend jungen, spürbar faszinierten Publikum. Die besungenen „Flügel des Herzens'‘, sie sind ihm noch nicht abgefallen. Er tanzt mit dem Tod und hält mit ihm das junge Leben im Arm; ein Harlekin der Hoffnung, denn „nur durch Hoffnung wird die Welt zu retten sein.“



Rainer Wilde