Der Westallgäuueer
Doris Köpf

Herman van Veens Buch „Und er geht und er singt“

Ansichten eines Clowns

28 sep 1985

Seinen Fans fällt es schwer, zu beschreiben, was sie an ihm so fasziniert. Herrtlan van Veen läßt sich nicht so leicht in irgendeine Liedermacherschublade stecken. Dafür ist der 40jährige studierte Musiker aus den Niederlanden zu vielseitig. Wer ihn einmal auf der Bühne erlebt hat, weiß um seine Talente als Sänger und wundersamer Geiger, als Pantomime und Parodist, als Tänzer, Akrobat und poetischer Clown. Bekannt wurde Herman von Veen Anfang der siebziger Jahre vor allem mit seinen Liebesliedern.


„Ich habe ein zärtliches Gefühl für jede Frau und jeden Mann, für , jeden Nichtsnutz, jeden Kerl..., wenn er nur unheimlich wehrlos lieben kann“ — diese Stelle aus seinem damals wohl bekanntesten Lied trug er als Motto fast ein Jahrzehnt lang auf seinem Banner der Zärtlichkeit durch Europa. Im Mittelpunkt der Lieder auf seinen zahlreichen LPs (allein 15 deutschsprachige): die kleinen Dinge des Alltags, die zwischenmenschlichen Beziehungen.

Seine Kritik an der Gesellschaft beschränkte sich auf das, was ihn unmittelbar anging. Wie zum Beispiel in „Stilles Glück, trautes Heim“, wo er beschreibt, wie sich ein Ehepaar anödet, das alles besitzt, aber die Liebe für den Partner im Streben nach materiellem Wohlstand langsam verloren hat. Inzwischen ist aus dem zärtlichen Clown ein ernster geworden, ein politischer, der auch vor den „großen Themen“ nicht mehr zurückschreckt. Wie sich Herman van Veen verändert hat — und mit ihm seine „Botschaft“ —, dokumentiert sein Buch mit dem Titel „Und er geht und er singt“, das im Hamburger Verlag Rasch und Röhring erschienen ist. Der Bildband enthält zahlreiche, gut-ausgewählte Fotos von seiner jüngsten Tournee und dazu die Liedtexte. Dominierendes Thema ist der Rüstungswahn.
In „Die Bombe fällt nie“ parodiert er auf hintersinnige Weise die Gewöhnung der Menschen an das Leben mit dem vielzitierten „Gleichgewicht des Schreckens“: „Die Welt ist auf den Kopf gestellt durch diesen schrecklichen Bericht, denn wenn die Bombe doch nie fällt, bringt uns das aus dem Gleichgewicht“

. Aber auch der Hunger in der Dritten Welt, Arbeitslosigkeit, Ausländerhaß und die „Menschheitsgeißel“ Krebs lassen Herman van Veen — seit 1968 ist er Goodwill-Botschafter des Kinderhilfswerks Unicef — nicht kalt. Hängt er sich also auch an den Zug „Friedensbewegung“, auf den einige seiner Liedermacherkollegen schon längst aufgesprungen sind? Auf den ersten Blick mag es so aussehen. Doch beim genaueren Lesen nimmt man dem vierfachen Vater seine Sorge um die Erde, um die Zukunft des Menschen auf dem Pulverfaß ab. Er zeichnet zwar die Greuel im Schwarzweißkontrast, aber das steht einem Clown zu.

Positiv an dem Buch: Der holländische Liedermacher belegt sein Texte mit Zahlenmaterial und aussagekräftigen Politikerzitaten. Die Fotos sind dabei mehr als nur bloße Zutat.
Sie dokumentieren den Wandel eines Liedermachers und die Schrecken, die der Welt drohen: Symbolträchtig zeigt das Bild in der Mitte des Buches eine Bombenexplosion.

Daß diese Wandlung des ehedem „zärtlichen Clowns“ einige eingefleischte Fans auch abschrecken wird, ist fast vorprogrammiert. Doch daß er dieses Risiko eingeht, das macht Herman van Veen nur sympathischer als Mensch und als Künstler. Auf ihn paßt ein Lied, das sein Kollege Konstantin Wecker vor Jahren schrieb: „Ich singe, weil ich ein Lied hab’, nicht weil es euch gefällt...“


Herman van Veen: Und er geht und er singt; Rasch und Röhring Verlag, Hamburg, 156 Seiten, viele Fotos, 29,80 Mark.



Doris Köpf