Schauspielhaus Bulletin
Zürich

Clown, Poet und Superstar

Herman van Veen in Zürich

28 feb 1975

Ach ja, man weiss es: Was der Zürcher nicht kennt, das führt er sich nur mit Vorsicht zu Gemüte, auch wenn er solche Vorsicht anschliessend zu bereuen hat. So gilt es denn vor zürcherischem Zögern dieser Art laut und deutsch und deutlich zu warnen, denn dem zurückhaltenden Zürich steht ein Ereignis bevor, das in keinem Falle und um keinen Preis verpasst werden darf. Das Ereignis begibt sich am Dienstag, dem 4. März, um 20.30 Uhr im Schauspielhaus. Es heisst, in drei Worten: Herman van Veen.


Die Frage ist nun allerdings: Wer ist das?
Eine treffende Antwort darauf gab Manfred Sack in der Wochenzeitung "Die Zeit", erscheinend zu Hamburg, wo Herman van Veen vor kurzem die Besucher des Deutschen Schauspielhauses zwei Stunden lang Tränen lachen und weinen machte:
"Van Veen? Noch darf man fragen, wer das sei, ohne sich zu blamieren.'

Niederländer ist er; 29 Jahre alt, in Utrecht examiniert in Geige und Gesang und" somit gegen einen dummen Vorwurf gefeit, er hätte nichts gelernt. Aus Korperlänge und Haltung ergibt sich zwanglos die Bezeichnung langer Lulatsch. Sein blondes, leicht gelocktes Haar fällt mit schütterem Wurf bis fast auf die Schultern. Die Augen sind, was man nicht sieht, aber ahnt, blau."

Moralist und Mondkalb

Soweit die Personalien und die kondensierte Biographie. Aber was ist er. dieser van Veen? Dazu Manfred Sack:
"Er ist alles. Er ist ein Unterhalter, wie ihn als so komplexe Figur sonst nur ein Lexikon zu montieren wagt: Er ist Sänger und Geiger, er hat etwas von einem Schauspieler und einem sprunggewandten Tänzer (mit der Fähigkeit zum Battement), er ist Pantomime, Parodist, Imitator, Geschichtenerzähler, kurzum: ein Spassmacher und ein Erzieher, ein Clown, wie die Zeit ihn braucht und ihn sich ja auch hervorgebracht hat: Weiser, Moralist und Rotznase."

Guido Baumann, hervorragender Clown-Experte und überdies ausgestattet mit dem absoluten Riecher für Show-Stars der Sonderklasse, hat das Schauspielhaus auf van Veen aufmerksam gemacht und beteiligt sich an dem Gastspiel, indem er es für seine Unterhaltungsabteilung von Radio DRS aufzeichnet. Für Baumann ist der junge Holländer der Komet am Horizont eines Himmels, der ansonsten nicht eben voller Geigen hängt.
Batimann zweifelt nicht daran, dass van Veen in kürzester Zeit zu den internationalen Berühmtheiten des Metiers gehören wird, ein anderer Danny Kaye und Sammy Davis in Personalunion. Van Veen treibt vordringlich irrwitzigen und atemberaubenden Blödsinn, er parodiert etwa einen amerikanischen Rock-Star oder er produziert sich in chaplinesker Qualität als Pianist, wenn er nicht eben einen Boxkampf mit Muhammad Ali Clay pantomimisch vorführt.

Doch beim Blödsinn, beim haarsträubenden, bleibt es nicht. Van Veen zielt höher, ihm geht es nicht nur um das Zwerchfell des Publikums, sondern auch um dessen Herz.

Mit Musik geht's besser

Van Veen ist ein Musical-Clown, der die Musik ernst nimmt und der etwas von Musik versteht. Wieder Manfred Sack:
"Nun muss man gleich erwähnen, dass Herman van Veen, wenngleich Optimus interpares, einer ist von vier auf der Bühne, nur dass die anderen Musiker sind, aber was für welche! Ginge man danach, wie sie sich aufführen, fände man nur Wörter wie unauffällig, bescheiden, nützlich. Wendet man sich ihrer Musik zu, muss man ungleich höher langen: Sie ist von packender Originalität und in ihrer Art so unbefangen wie weiland die der jungen Beatles. Sie klingt oft gefährlich schön und wiegt sich sanft dahin, aber dann führen spröde Wendungen dazwischen. Nicht einen Augenblick lang ist sie sentimental.

Der Sentimentalität entgeht auch van Veen selber. Zwar streut er in sein Programm immer wieder leise Lieder ein, die zunächst wie Schlager beginnen, sich dann aber als schiere Poesie enthüllen oder zu eindringlichen Protestliedern gedeihen, aber zu unaufdringlichen Protestliedern, in denen sich unendliche Liebenswürdigkeit und hintergründige Aggressivität verbinden. Noch einmal: Was der Zürcher nicht kennt, das .. .


Am nächsten Dienstag, dem 4. März, 20.30 Uhr sollte er eine Ausnahme von dieser Regel machen, sich selbst zuliebe.