Siegener Zeitung D.H.S. |
"Wer brach die Flügel dir, bevor der Flug gelang?“
| 27 sep 1984 |
Siegen. Ein großer weißer Luftballon blau angestrahlt über die Buhne in der Siegerlandhalle schwebend, signalisierte Poesie sie und märchenhaftes Fliegen, und dann tritt er auf, der Holländer Herman van Veen, die Geige in der Hand, den Geigenkasten wie ein Clochard sein Bündel umgebunden. Darauf Stille am Dienstag abend in der Siegerlandhalle. Man erwartet poetische Einstimmung. Und dann schlägt alles in Clownerie um, die nur angezupfte Geige läßt der eindeutigen Handbewegung zum Trotz geigenbogengezogene Tone vemehmen. Playback mal aus dem linken, mal aus dem rechten Lautsprecherturm. Zwischen Poesie und Witz, Ulk und Parodie setzt Herman van Veen seine „Signale“, denn mit diesem Titel ist das Programm, wie schon vor einem halben Jahr, überschrieben. Akrobatisches Stimmvolumen Bewundern kann man das akrobatische Stimmvolumen des Künstlers, wenn er optimistisch und nachdenklich verkündet: „Die Bombe fällt nie.“ Seine Texte sind hintergründig, seine ' Lieder einfühlsam komponiert und arrangiert, und wenn er fragt: „Wenn man wieder planen kann, was fängt man dann mit der Zukunft an?“, so wird er die Antwort darauf noch am ehesten geben können. Seine Hommage für Edith Piaf ist ebenso gelungen wie seine stummen Szenen, jene kleinen Pantomimen, mit denen er Typen darstellt, die sich liebenswert und menschlich geben. Auf der anderen Seite stehen die maskentragenden Menschen, die ihr Unglück hinter ausdruckslosen Mienen verbergen. Vor sekundenschlagender Musikkulisse besingt van Veen die Zeit, die heilt und vergessen macht und die am Ende viel zu kurz ist, wenn sich das nukleare Paradies unserer Welt selbständig gemacht hat, womit der erste Teil des Programms in Knall und Rauch sein Ende findet. Immer wieder setzt Hermanr, van Veen gegen den Wahn der Welt die Power der Poesie. Er scheut auch nicht vor privaten Tragödien wie dem Lied von der krebskranken Frau mit dem Tenor „warum gerade ich?“ oder der Geschichte von dem ausländischen Arbeitslosen, der stets vor verschlossenen Türen stehen bleibt. Gerade mit dem -letzten bedrückenden Schicksal wird natürlich eine Zuschauerschaft konfrontiert, die diese Probleme nicht oder noch nicht kennt. Sollte sie sie jemals kennenlernen, so dürfte sie kaum in der Lage sein, die habituell hohen Eintrittspreise für so ein Konzert zu entrichten. Nun ist das nicht die einzige Stelle, die bei dem Auftritt des Holländers nachdenklich macht. Van Veen parodiert einen Schlagerstar, und dem Niveau dieses Genrevertreters angemessen, verkündef er: „We are happy to be in Darmstadt tonight.“ Dazu knallt der eigens mitgebrachte Applaus aus der Lautsprecherhydra, den der Parodist durch simple Handbewegungen nach seinem Gusto dirigiert. Klar sollte da die Manipulation der Masse durch den Star gezeigt werden. Star dieses Abends war ohne Zweifel Herman van Veen, und er ist ein profi, das kann ihm niemand absprechen. So hat er trotz aller schillernden Hintergründigkeit und allem gesellschaftskritischem Engagement seine tobende und begeisterte Fangemeinde ebenso in der Hand, wie er es in der Parodie den Schlagerschuppen unterstellt. Die Mittel sind natürlich subilter. Wenn der Künstler durch den mittleren Saalgang seinen Abschied vom Siegener Publikum zelebriert, so kann höchstens ein Naiver meinen, da seien nicht noch etliche Zugabenn eingeplant. Schon ein knapper Blick auf der Deckenbeleuchtung halbe Kraft belehrt einen da eines Besseren. Und wenn sich dann der Künstler zwischen seinen Zugaben wieder demonstrativ zurückzieht, dann weiß die Gemeinde ebenso wie ihr Idol, wie wenig ernst dieser Abgang gemeint ist. Van Veen versteht es geschickt, durch verzögertes Wiederauftreten den Beifall und das Getrampel in die Länge zu ziehen, und die auf Gesellschaftskritik versessenen Musenjünger tun denn auch ihr Bestes, den Applaus gehorsam zu apportieren; sie verstehen die Signale. Durch den Trick, jedesmal nur ein kleines Lied zu präsentieren, erreicht die Zahl der Zugaben natürlich Rekordhöhe. Es ist schon fatal, wenn jemand sich in seinen engagierten Texten gegen die Manipulation ausspricht und dann selbst manipuliert. Vielleicht war van Veen in seinen Lifeauftritten früher einmal ehrlicher. Jetzt aber muß man sich und ihn fragen: „Wer brach die Flügel dir, bevor der Flug gelang?“ Eine mögliche Antwort wären kommerzielle Interessen, und auf diesem Gebiet wird sich im Ernste wohl keiner trauen, den ersten Stein zu werfen. Von bewährter Crew begleitet Nun tritt der Poet, Sänger, Instrumentalist und Pantomime nicht alleine auf. Er wird von seiner bewährten Crew begleitet, die immer wieder zwischendurch vorgestellt wird und sich so auch'der Dankbarkeit des Publikums ausgesetzt sieht. Nard Reinders, Chris Lookers und Cees van der Laarse intonierten an diesem Abend gekonnt den musikalischen Background und gaben den poetischen Worten den tonalen Schmelz. D. H. S. |