Union, Chemnitz
HK

Zauberer des Vertrauens

Herman van Veen und seine Band in der Stadthalle

26 nov 1987

Erwartung, Spannung in den Gesichtern - Erleichterung, drin zu sitzen im Großen Saal der Stadthalle. Auf der Bühne links und rechts eines improvisierten Theatervorhanges hoch aufgetürmte Aktiv-Boxen. Es wird sich an diesem Abend heraussteilen, wie human man mit der großartigen Anlage umzugehen weiß.


Violinen-Musik klingt gedämpft aus den Lautsprechern. Und dann hebt sich aus dem dunklen, aufsteigenden Vorhang die Silhouette scheinbar lapidar vergessener Wohngegenstände: Müllschlucker, Kästen, Stuhl. Tiefbunte Lichtkegel tauchen die Musiker in schemenhaftes Licht, ein Blues erklingt. Chris Lookers (seit '84 dabei) an der Gitarre, Cees van Laarse (seit '81) walkt, zupft den Bass, an den Saxophonen, Clarinette und Akkordeon (seit 78) Nard Reijnders. Fast versteckt hinter dem Keyboard-Equipment sitzt der Pianist, der seit '67 dabei ist: Erik van der Wurff, verantwortlich für die meisten Kompositionen. Und dann ein heller Lichtstrahl, er gilt Herman van Veen. In dem Augenblick muß wohl so mancher mit sich und seiner Überwältigtheit arg kämpfen... Hier steht einer der Wenigen auf dieser Welt, denen Berührung unserer Wegkreuzungen gelingt, mit seinen Liedern.

Er berührt uns leise, wenn er „Du!" zu uns sagt, nie redet er uns nur ins Gewissen - eher ist da einer mit sich selbst in Gegenrede. Er singt „Weißt du wie es war" und „Ich hab ein zärtliches Gefühl" und das tut gut. Denn da macht einer Mut, wo eigentlich gar kein Argument mehr dafür ist. „Helden"... „Und jeder macht die Augen zu / und sagt nicht, was er weiß / Lieber feig und lebend / als ein Held um jeden Preis / Die Zeugen sind selten Helden / echte Helden bezeugen selten..." Herman van Veen zitiert ältere Text, doch er verändert sie auch.

Von seinen wohl zirka 60 Platten-Ein-spielungen wird doch kaum jemand mehr als eine Handvoll besitzen. Mittendrin zu sitzen in der Verzauberung alltäglicher Belange, die Wandlung zur „positiven Realität" zu erleben, das umfängt Alt und Jung, dem kann sich auch ein rationaler Mensch nicht entziehen. Es ist Leben, das hier musikalisch gemacht wird: „Klitschnasse Clowns", „.. .Auf dem Markt steht als Denkmal / ein ehrenwertes Schlitzohr / der Lohn für die perfekte Gaunerei / Hagel prasselnd herab / Väter fluchen, beim Bahnhof eine Schlägerei / Es wird plötzlich finster / der Himmel hängt nun ganz tief, es blitzt / Dann noch mal / Gott macht ein Foto von der Stadt fürs Archiv / 30 Methoden um Büsten festzuhalten / Frauenfleisch auf Papier. ..". Herman macht befangen, er rechnet mit unserm Willen, Betroffenheit fruchtbar zu machen. Er setzt auf sein Publikum, ar/’sein „individualistisches Kollektiv", singt „Die Wechsler", „Warum gerade ich". Die Show ist fantastisch, hautnah. „Und wenn die ganze Erde bebt" und das Tabu-Thema Tod gegen den Anspruch Leben ausgespielt wird, da assoziiert sich Meyrinks „Chidher Grün" aus Amsterdam, in dem Herr Eidotter spricht: „.. .Das Herz im - wird, da assoziiert sich Meyrinks „Chid-her Grün" aus Amsterdam, in dem der Herr Eidotter spricht: „.. .Das Herz im Kopf und das Gehirn in der Brust..." Und die Show bringt die heiklen Fragen auf, warum wir uns mit Glotze, Disco, Verkleidung so viel Zeit einfach abschneiden. Nicht gerade glimpflich geht Herman van Veen mit seiner Erfahrung des 83er USA-Gastspiels um. Beißende Parodie banaler Pop-Kultur zeigt den Harlekin, den sinnlichen Clown der Szenen unserer Vergeblichkeit - Vergänglichkeit.

„Mein erstes Gastspiel in der DDR, vorher war ich schon paarmal in Berlin", sagt der gefeierte Sänger und macht den Zuhörern begreiflich, daß dein Nebenmann die selbe Sprache spricht, die gleichen Wünsche, Ängste hegt, „Hand in Hand", „Ich, wo bist du?", „Ich lieb dich noch...". Schade nur, daß unsere Kinder nicht „Kleiner Fratz" und das Stück „Plätscher, Plitscher, Feder" aus den Abenteuern der Ente Alfred Jodocus Quak miterleben konnten. Die Halle war schon mit glücklichen „Erwachsenen" überfüllt. Es wird lange dauern, bis uns solch ein menschlich nahegehendes und gereiftes Ensemble in Karl-Marx-Stadt wiederbegegnet.


Ich glaube, nach fast zehn Zugaben hat Herman van Veen die Beifalls-Stürme auch so gewertet.



HK