Bocholt-Borkener Volksblatt
HANS R. SOMMER

(K)eine Sternstunde

Umjubelt und mit viel Applaus verwöhnt

26 apr 1982

Bocholt
Der Guru in wem zog einigen Minuten Verspätung im ausverkauften Stadttheater ein; die Spannung war um so größer, der Vorschußapplaus begeistert: Her: man van Veen live in Bocholt, das war (zu den Eintrittspreisen) eine mittlere Sensation. Der "Lange mit den sanften Tönen" (wer hat eigentlich diesen Titel erfunden?), gab sich so sanft den ganzen Abend lang nicht.



Wer ist Herman van Veen? Ein Liedermacher? Ein Show-Wunder unserer Tage? Ein Harlekin, der sein Publikum stets im Griff hat? - Vieles ist richtig und dennoch falsch. Herman van Veen ist plötzlich da, kommt zu jener Tür herein, durch die der Konzertbesucher erst vor wenigen Minuten erwartungsvoll die Arena betreten hatte: Er ist Mittelpunkt, fordernd, unnachgiebig, kompromißlos.

Da sind seine sanften Lieder, die Lyrik: Aus dem Leben gegriffen, jeden betreffend, den Nachbarn, den Vordermann, den Hintermann, den der draußen steht und keine Karte hat und sich in der Pause mit einer seiner zahlreichen Platten begnügen muß und höchstens vor der geschlossenen Tür ein paar Takte live erlauschen kann. Da ist aber auf einmal auch der große Knall, der Rauch auf der Bühne, das Licht, das für ausgeklügelte Effekte sorgt, die Hektik, die gar nicht mehr dem Büd des "Langen mit den sanften Tönen" entspricht. Da ist die Show, die jenen Herman van Veen verdrängt, den man von der Platte, aus dem Rundfunk, vom Fernsehen her kennt:
Perfekt ein studiert, bis ins letzte Detail geprobt; Licht und Ton optimal eingesetzt. Doch dieser Herman van Veen wirkt kalt, geradezu eisig, weil er nicht jenem Bild entspricht, das man von ihm nach der flüchtigen Begegnung mit einem seiner Texte im Rundfunk oder auf der Platte mitgebracht hatte.

Herman van Veen wird zwiespältig: Hier der Lyriker, der mit seinen äußerst einfühlsamen, ja geradezu melancholischen Lebensweisheiten und Lebenserkenntnissen eine wohltuende Wärme ausstrahlt, da der Exzentriker, der sein Blödel- Gesicht aufsetzt, und seine Umgebung mit Lärm und Rauch erfüllt, was so gar nicht zu ihm passen will: Kontrast oder Show-Effekt?

Herman van Veen gehört zweifellos von Text und Interpretation her zu jenen Leuten des Show-Business, die zu den Großen gerechnet werden: Seine lyrischen Texte machen betroffen ohne verletzend zu sein; seine Gags deutlich, wo eine gehemmte (um nicht zu sagen verklemmte) Gesellschaft zu packen ist.

Homosexualität und Onanie, Alltag und Pazifismus: Knapp drei Stunden lang stürzte fast zu viel auf den Konzertbesucher ein. Zugaben für ein begeistertes Publikum führten schließlich wieder zurück zum lyrischen Herman van Veen, zum "wohlschmeckenden Gift", das er in seinen sanften Klängen verabreicht:

Einmal live, und ich glaube, ich genieße in Zukunft Herman van Veen wieder wohldosiert vom Plattenteller.



HANS R. SOMMER