Berliner Morgenpost
Bernd Lubowski

„Jeder Auftritt ist wie eine Zugfahrt ohne Zielangabe“

Hermann van Veen über Erfolg, Ängste und Hoffnungen

26. Maertrz 1993

Hermann van Veen ist wieder in Berlin. Der holländische Entertainer tritt morgen sowie vom 30. März bis zum 3. April mit seinem neuen Programm in der Hochschule der Künste auf. Wir sprachen mit Hermann van Veen.


Berliner Morgenpost: Sie stehen seit rund 25 Jahren auf der Bühne, schreiben Ihre eigenen Texte. Wird das einfacher oder schwieriger im Lauf der Zeit?
Hermann van Veen: Es wird ruhiger, glaube ich. Man nimmt sich mehr Zeit dafür, läuft nicht mehr so über von Ideen und Anliegen, mit denen man glaubt, die Welt verändern zu können.

BM: Kann man die Welt mit Liedern überhaupt verändern?
Hermann van Veen: Das glaubt man als junger Künstler, muß man wohl auch glauben, wenn man am Beginn der Karriere steht. Das ist ein Motor, der einen antreibt. In der früheren DDR hat man es ganz anders verstanden, wenn ich von Schmetterlingen sang, als hier. Hier waren es eben Schmetterlinge, in der DDR waren sie ein Symbol dafür, daß sie frei überall hinfliegen konnten, auch über die Mauer. Das schaffte eine ganz andere Atmosphäre, obwohl es das gleiche Lied war, das ich in Ost wie West sang. Später erkennt man, daß ein Lied Einsichten vermitteln, aber nichts verändern kann.

BM: Entmutigt das? Wird es deshalb ruhiger, wie Sie sagen?
Hermann van Veen: Nein. Aber man wird kritischer sich selbst gegenüber. Man feilt länger an einem Text herum, verändert vielleicht im Monat ein Wort, läßt es in der Schublade, holt es irgendwann heraus und singt das Lied dann plötzlich eines Abends. Es ist nicht mehr so, daß man alles, was man eben geschrieben hat, schon gestern am liebsten vorgetragen hätte.

BM: Haben sich die Themen wie Ihre Ansichten verändert?
Hermann van Veen: Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich. Worüber soll man ein Lied machen? Wenn ich heute um mich sehe oder an die Zukunft denke, sehe ich nur Tausende von Toten vor mir. Ich sehe kein Happy-End, keinen Frieden der Menschen miteinander. Ich sage nicht, daß das so enden wird in Ost-Europa, aber da sind der Schrecken und die Angst, die ich in mir trage.

BM: Sie waren seit vier Jahren nicht mehr in Berlin, sind in der halben Welt aufgetreten. Ist Hermann van Veen in den USA oder in Japan ein anderer als in Berlin oder in Holland? Kennen wir nur eine Ihrer Seiten, gibt es für jedes Land einen anderen Entertainer?
Hermann van Veen: Ein bißchen ist es so. Man kann nicht jedes Programm exakt in ein anderes Land hinübertragen. Es ist auch eine Frage der jeweiligen Kultur und Tradition des Landes. Auch des Tempos. In Amerika geht alles schnell auf den Punkt, Punkt, Punkt. In Frankreich ist man die Chansonniers gewöhnt, die nur singen und nicht einmal richtig .Guten Abend’ sagen. In Deutschland bin ich jemand, der zwar Lieder singt, aber auch Geschichten erzählt, in denen sich das Publikum wiederfindet.

BM: Außerdem verlangt das Publikum Ihre großen Erfolge?
Hermann van Veen: Natürlich. Aber ich will kein Sänger sein, der seine Erfolge abspult. Ich will schon die Kommunikation. Deshalb ist auch jedes meiner jetzt hier stattfindenden Konzerte anders, ich singe zum Teil auch andere Lieder. Das entscheidet die Stimmungslage des Publikums. Es kann sein, daß es zu einem Punkt kommt, wo ich mit dem geplanten Programm nicht weitermachen kann, weil das nächste Lied vielleicht nicht der Stimmung entspricht. Dann singe ich ein anderes.

BM: Können Sie so schnell umspringen?
Hermann van Veen: Ja, doch. Ich bin ja mit meinen Musikern gut eingspielt. Außerdem liebe ich diese unvorhergesehenen Momente. Ich will ja nicht tagein, tagaus den gleichen Schritt gehen, nicht einfach abliefern, sondern auch das Abenteuer, auf einen Zug zu springen und nicht zu wissen, wo der genau hinfährt. Da kalkuliere ich lieber einen Reinfall ein.

BM: Holländer erscheinen mir manchmal wie die letzten Anarchisten Europas. Wie empfinden Sie Ihre Landsleute?
Hermann van Veen: Das hat mit dem Licht in meiner Heimat und mit dem Wind zu tun. Es weht soviel Wind in Holland, daß nichts kleben bleibt. Und die Wolken ziehen ständig vorbei und verändern das Licht. In den Alpen kann man den Feind nicht sehen, der sich anschleicht. In Holland sieht man ihn schon über das Wasser kommen.

Das findet sich auch im Charakter der Holländer wider. Der Holländer besitzt den Wind, der ihn flexibel macht. Das ist ein Vermögen. Die Araber lachen sich schief, wenn sich Touristen in die Sonne legen. Für sie ist die Sonne ganz normal. Dafür springen arabische Touristen verzückt auf die Straße, wenn es in London regnet. Sie machen Regen-Urlaub sozusagen. So geht's eben auf der Welt zu. Verrückt und spannend. Aber das muß man wissen, wenn man in der Welt herumzieht. Das sind Erfahrungswerte, die man gegenseitig machen kann. Diese Neugierde sollte man auf einen Fremden haben, statt ihn zusammenzuschlagen.

BM: Sie sagten, Sie wollen kein alter Sänger werden, der nur noch sein Repertoire abspult. Wollen Sie eigentlich mit dem Gesang Geschichten erzählen, die Sie nicht schreiben?
Hermann van Veen: Ich war immer an Geschichten interessiert. Ein Lehrer von mir war in einem deutschen Konzentrationslager, ein anderer im Widerstand gegen die Nationalsozialisten, zusammen mit meinem Vater. Von ihnen habe ich schon sehr früh immer Geschichten gehört, die sie anderen Kindern nicht erzählten. Ich habe immer Menschen getroffen, von denen ich viel erfahren habe, von denen ich viel mitbekommen habe. Davon will ich etwas weitergeben.

BM: Ausschließlich als Entertainer oder vielleicht auch als Schriftsteller oder Filmemacher?
Hermann van Veen: Ich will einen Film drehen. Einen Film, der von mir und meinen Geschichten erzählt, einfach nur: Hermann van Veens Film. Der Name als Programm, als Inhalt. Ich weiß, daß es dafür ein großes Publikum gibt, aber man kann einen Film nicht so einfach produzieren. Aber das ist mein nächster großer Plan, den ich verwirklichen werde.



Bernd Lubowski