die Tageszeitung
Klaus Nothnagel

KINDSKOPF

26 mrz 1986

Hermann van Veen in der HdK

Manches, was über Hermann van Veen geschrieben wird, liest sich, als sei er einer dieser Billig-Romantiker, ein Seifenblasenträumer der Unterhaltungsindustrie, Abteilung Trost und Alltagserleichterung für Phantasiebehinderte. Ein grobes Mißverständnis; denn er hat zwar mit Produkten wiez.B. Roncallidie Kindlichkeitgemeinsam, seineKinderaber (und damit auch er selbst) sind keine Traum- und Schwindelgestalten, strahlen keine Seifenblasen an, stechen eher mit spitzem Finger hinein, um zu sehen, ob innen etwas ist. Er ist, als wirkliche Person und als Kunstfigur der größte Kindskopf; die Grenzen zwischen Spiel und Realität kennt er selbst nicht genau und sucht sie, wenn überhaupt, spielend. Er weiß, daß Kinder nicht unschul-dig, nicht verträumt und simpel sind: Die Oma sei doch jetzt ein Engel geworden, sagter, ein Telefongespräch mit seinem Kind vorspielend. Wann sie denn nun wieder Oma würde, willdas Kind wissen — er gibt lachend zu, keine Antwort auf die (ernstgemeinte) Frage zu haben.


Was van Veen zu bieten hat, ist bekannt und kaum jemandem zu vermitteln, der nur seine Platten kennt. Er ist ein ausgezeichneter Schauspieler, Musiker, Pantomime, Clown. Er spielt Geige und hat eine ausgebildete Gesangsstimme, die er souverän beherrscht; manchmal führt er das mit spürbarem Vergnügen vor, eine rasende Scat-Gesangsimprovisation, die Falsett-Imitation einer Panflöte, dann ein stilles, trauriges Schubert-Lied.
Seine Band spielt konzentriert und diskret, setzt treffsicher Akzente, lärmt und langweilt nicht. Und selten habe ich ein so schön und dramaturgisch stimmig ausgeleuchtetes Konzert gesehen; wenn van Veen am Klavier sitzt, sieht man die anderen vier Musiker in einer Reihe warmer, weißer Lichtersitzenund die Stimmung hat weniger mit Präsentation, Frontalität, als mit der Intimität gemeinsamer Konzentration von Künstlern und Zuschauernzu tun.

Entscheidend ist, wie immer, das »Wie«. Van Veen hat in den langen Jahren seiner Bühnenpräsenz einen Grad von Unangestrengtheit, von entspannter Selbstverständlichkeit erreicht, der ihn, fast unabhängig von Inhalten, glaubwürdig macht. Die größte Kunst: die Kunstanstrengung zum Verschwinden zu bringen. Ob er starke Kerle spielt, die sich, eben noch brüllend und grimassierend, plötzlich seufzend an die erste beste Schulter werfen, ob er einen Männer-Strip veralbert, um gleich darauf mit unglaublichen Grimassen eine Tennis-Parodie zu zeigen, ob er Papierschnipsel schmeißt oder mit Bällen zaubert, tanzt, hopst, rennt: Alles kommt vom Zentrum, ist durch die Mühen und Sturheiten künstlerischer Disziplin hindurch gegangen und zur Quelle der Intuition rückgekoppelt.
Wer da angekommen ist, kann nur noch Pause machen oder neue Künste suchen; er werde sich für vier oder fünf Jahre verabschieden, kündigt van Veen an.

Für mich die wichtigste Erkenntnisandiesem (nebenbei auch politischen) Abend: Solange noch ein Kind verhungert, sei jede Waffe Gotteslästerung, sagt van Veen. Und wann immer man geglaubt hat, das nun wirklich nicht mehrhörenzukönnen.lagesnicht an der Botschaft — denn die kann nicht überflüssig werden, außer für Leute, denen schon ihr eigenes Elend langweilig ist.
Es kommt eben darauf an, wie ehrlich, wie naiv einer das meint und ob er als Künstler imstande ist, auch genau das zu zeigen, zu beglaubigen.

Ein lustiger, melancholischer Abend, ein Versprechen und ein Abschied auf Zeit.

»Das Leben geht weiter, mit den Gedichten der Toten und den Witzen der Lebenden.«



Klaus Nothnagel