Sonntag (DDR)
Marianne Büttner

Die Anziehungskraft der Erde

25 apr 1982

Wer Gelegenheit hatte, seine Lieder in deutscher Sprache zu hören (die hervorragenden Nachdichtungen seiner Texte / stammen von Thomas Woitkewitsch). der weiß zwar etwas von seinen Liedern, Versen und Geschichten, kennt ihn aber nur halb. Es fehlt das Wichtigste: Er selbst!


Herman van Veen, 1945 geboren, studierte am Utrechter Konservatorium Musikpädagogik, Geige und Gesang. Sein erstes Theaterprogramm hatte 1967 im "Tivoli" von Utrecht Premiere. 1968 gründete er mit einem Studienfreund ein eigenes Unternehmen. "Harlekijn Holland". Im gleichen Jahr ernannte man ihn zum niederländischen Vertreter für UNICEF, dem Internationalen Kinderhilfsfonds der UNO. 1977 erfolgte gemeinsam mit Jost Taverne die Gründung von "Colombine", einer Hilfsorganisation für Entwicklungsländer. Herman van Veen erarbeitete verschiedene "Harlekijn-Programme"; in eigener Produktion entstanden Theaterauf führungen, Spiel- und Dokumentarfilme, Fernsehsendungen (u. a. eine erfolgreiche Kinderserie im niederländischen Fernsehen), Zeitschriften, Bücher und Schallplatten, darunter 18 eigene LPs, zahlreiche davon in deutscher Sprache.
Er erhielt mehrmals den Kritikerpreis der Niederlande, die "Goldene Harfe" der Stiftung Conamus zur Förderung des holländischen Liedes, den Edison-Preis in der BRD u. v. a. m.

Er bezeichnet sich als Clown, ".. .weil es die Position eines Clowns ist, von der aus ich rede... Ich bin ein Clown ohne Maske, ohne Farbe."
Herman van Veen auf der Bühne - das ist die Balance von Tragischem und Komischem, von Weinen und Lachen, Gut und Böse, Angst und Mut, Verletztwerden und Zärtlichsein, von bissigem Spott und augenzwinkerndem Humor. Lieder, Geschichten und Pantomimen blühen auf und wirken in dieser, auf den ersten Blick unvereinbaren, Gegensätzlichkeit.

"Ich glaube, die wirkliche Basis für meine Kunst ist, daß ich nur das zeigen kann, was ich empfince." Man mag mitunter anders empfinden, ihm etwas übel nehmen oder ihn einen Idealisten nennen, eines jedoch gelingt wohl kaum jemandem: "drumherumzukommen".

Was er sagt und vor allem, wie er es sagt, das geht unter die Haut, das trifft direkt, damit hat man eine ganze Weile zu tun... "Hermah van Veen wird sichtlich die Betroffenheit nicht los", schrieb einmal ein Journalist. Es ist diese Betroffenheit, die ihn veranlaßt, mit seiner Kunst zu reagieren. "Wenn ich etwas sehe, dann denke ich: Ja, wieso denn? Und wenn ich mich etwas frage, dann fang ich an zu schreiben. Das ist dann nie ein Lied oder ein Gedicht - es wird vielleicht eins." Herman van Veen glaubt aufrichtig, daß die Erde als Angebot perfekt ist. Ihn beunruhigt die Frage, ob i nd wie wir dieses Angebot nutzen. Er erzählt Geschichten, schildert Situationen und zeigt Verhaltensweisen von Menschen, die auf unterschiedliche Art miteinander leben... im engeren und im weitesten Sinne. Dabei geht es ihm um Ehrlichkeit, um Menschlichkeit, um Empfindsamkeit, um Engagement. Sich engagieren heißt für ihn: etwas unternehmen gegen alles, was das Leben in Frage stellt und menschliches Miteinander zerstört.

Er meint Gleichgültigkeit, Trägheit. Intoleranz, tatenloses Zusehen, Egoismus oder Gefühlsarmut. Das konkrete Beispiel transportiert dabei lediglich ein Prinzip, das Grundsätzliche, auf das er aufmerksam machen will. "Und sie kommt aus der Klinik/und ist clean/sie ist davon ab/und sie rennt die Treppe hoch/ Papa, Mama, ich bin wieder da/Und Vater nickt zerstreut, ja, ja/mein Kleines, alles klar/die Sportschau ist gleich zu Ende/ und Mutter winkt vom Telefon/es ist Tante Annie/Schätzchen, ich bin gleich da/und die Schwester macht grad Algebra. (aus: "Nicht allein")

Auf die Frage, ob er mit seinen Texten angreifen oder verurteilen will, antwortet Herman van Veen: "Es ist nicht eine Art von Verurteilen, es ist eine Art von Sehen. Ich beschreibe eine Situation, und man kann das vielleicht in seiner eigenen Erfahrung oder im eigenen Verhalten wiederfinden." Was er beabsichtigt, läßt sich vielleicht als "Erziehung der Gefühle" kennzeichnen und zwar in einer Weise, wie er sie in seinem Lied "Herz" andeutet: "Michelangelos Skulpturen/ sagte er/hätten einzig und allein/von überflüssigem Stein/befreit werden müssen/ läßt sich nicht dies Prinzip/auch auf Menschen übertragen/von vielen kann man sagen/sie sind unbehauen/es muß nichtsdestotrotz/auf einen groben Klotz/ nicht immer nur ein grober Keil gehören." Aus Herman van Veens Einstellung zum Leben resultiert letztendlich auch seine Haltung zu einem der wichtigsten Probleme unserer Zeit: die Erhaltung des Friedens. Er hat in Amsterdam vor 400000 Teilnehmern einer Friedensdemonstration gesungen. Krieg als die katastrophalste und radikalste Form der Lebenszerstörung würde bedeuten, "das perfekte Angebot Erde" auszuschlagen.

Krieg oder Frieden - eine Frage, von der sich Herman van Veen betroffen fühlt, weil von ihrer Beantwortung das Leben schlechthin abhängt. Mit welchen Schlußfolgerungen im einzelnen er sich dieser Frage stellt, darüber wäre zu diskutieren. Daß es unterschiedliche Positionen gibt, darüber kann man sich nicht hinwegtäuschen. Er hielt es für ein Abenteuer, bei uns aufzutreten, war neugierig und gespannt. Er fuhr zurück nach zwei - wie er sie nannte - "intensiven Tagen" und mit Eindrücken, von denen er meint, daß sie Spuren hinterlassen haben. Miteinander-Reden hält er für unbedingt wichtig. "Ich möchte mit meiner Kunst Energie vermitteln, positive Energie, positive Kollektivität. Dann fängt der Mensch erst an, zivilisiert zu sein. Daran glaube ich. Mein Theater ist eine Art von Austausch, was das anbetrifft." Herman van Veen als Mensch und als Künstler - man fühlt, daß man eine Erfahrung gemacht hat, anwendbar, wenn es darum geht, uns zu bewahren, was er mit dem Titel seiner 198i erschienenen Langspielplatte symbolisch formulierte: "Die Anziehungskraft der Erde".



Marianne Büttner