Schwäbisches Tagblatt
Martin Kazmaler

Harlekin & Co

Herman van Veen auf Deutschlandtournee

24 okt 1975

Etwa zwanzig Minuten nach dem letzten Lied. Zugaben, Wiederholungen, noch etwas für seine niederländischen Landsleute. Seine große Gemeinde steht im Parkett. Aus dem diskreten Begleit-Ensemble ist eine wilde Popband geworden, Herman ihr perfekter Schlagzeuger mit einem langen Solo. Die Rotkreuzschwester lächelt milde und wartet. Die Saalschließer lächeln und warten. Diesem jungen Mann kann man doch nicht einfach das Licht abdrehen wie man sich's selbst bei Starauftritten erlaubt.


Das Showtalent war lange ein Amsterdamer Geheimtip. Nie ein Hitparadensänger, wofür ihn schon sein Äußeres nicht empfehlen würde. Blauäugig und gelenkig zwar, doch in eher ärmlichem Bühnenkostüm, und daß seine blonden Locken schon schütter sind, betont der fleischig lachende Dreißiger durch eine tiefe, ungeschickte Begrüßungsverbeugung. Dazu paßt auch das Foto auf seinem neuen Programmheft "wunder was", wo er irgend etwas in sich hineinmümmelt, vermutlich Schmalzgebackenes mit einem unaussprechlich kehligen holländischen Namen. Sehr nett dies alles. Daß solche Bescheidenheit hoch angerechnet wird, dürfte er wissen, denn er ist Geschäftsführer einer eigenen Künstleragentur "Harlekin", und bucht sich von Erfolg zu Erfolg. Erst jetzt war er bald ein halbes Jahr in einem Amsterdamer Zirkus. Seine Auftritte im deutschen Fernsehen werden häufiger.

Ist das alles Pose, umgekehrt? Er singt viel Romantisches, Trauriges auf meist dunkler Bühne; singt von der Bedrohung unseres Lebens durch Umweltsünden und Lieblosigkeit, vom Leben, das nicht gelebt wird. Er singt das sehr kräftig, sehr persönlich, glaubwürdig und laut bis zu Zarah-Leander-Pathos. Sein Ensemble stützt raffiniert, popig oder mit Harmoniumsentimentalität.

Er spricht Lyrisches, das leicht in Groteske umschlägt, wie eine Geschichte vom lieben Gott oder die vom Spaziergang auf einer Wolke, die sich dadurch gekitzelt fühlt. Er glaubt an die Wirkung von Herz zu Herz, eine Weltanschauung, die sich gerne pantomimisch ausdrückt (oder: die Pantomimen legen sich gerne solche Weitsicht zurecht). Alles mit einem Schuß Jacques Prevert, Juliette Greco und Cafehaus-Existenzialismus.

Natürlich auch mit Luftballons, Kinderlachen, einzelnen Schuhen und alten Fräcken und einer einsamen Bank. Fast wäre es zu besinnlich. Aber er fährt dazwischen mit Hillybilly-Musik, als Musikal-clown, mit Kraftwörtern und pantomimischen Kaspereien. Seine Menschlichkeit ist keine Pose. Sie läßt die Tradition, aus der er kommt, ganz vergessen.

Er ist ein glaubhafter Typ, nicht nur für seine Gemeinde.



Martin Kazmaler