Der Morgen (DDR)
Gisela Hoyer

Zärtlichkeit, die ansteckend wirkt

24 sept 1987

Er ist Sanger und Pantomine, Musiker, Tanzer, Schauspieler und Clown, doch vor allem ist er Poet. In dem was Herman van Veen tut, treffen sich ungebrochne Naivitat und bestechende Professionalität — Und womöglich verstehen ihn nur die Kinder ganz in seiner rigorosen Wahrhaftigkeit, im elementaren Schmerz über den Zustand unserer Welt und in seiner leuchtenden, von innen kommenden Heiterkeit.


Dies und vieles mehr steckt denn auch in der zauberhaften Geschichte von der merkwürdigen Ente Alfred Jodocus Quak, die „zwar klein, aber auf Zack“ Seltsame und gefährliche Abenteuer zu bestehen weiß. Herman van Veens Kinderoper, 1978 uraufge-führt und nun nach Berlin mitgebracht, vollbringt ein Wunder: An ihrem Ende funkelt auch den mehrheitlich im Zuschauersaal versammelten Erwachsenen ein Licht in den Augen, haben sie . vielleicht ein Stück Kindheit in sich wiedergefunden.

Erzählt wird eine Art modernes Märchen, Wirkliches und Wünschenswertes mischen sich im phantasievollen Spiel zur Botschaft, getragen von der großen kindlichen Sehnsucht nach Glück und Gerechtigkeit überall. Da . ist diese kleine und unerschrockene Ente, die mit List und Einfallsreichtum und aus Leibeskräften versucht, bedrohten Artgenossen zu helfen, die sich deshalb gar mit dem König anlegt und- ihn gemeinsam mit guten und verläßlichen Freunden nicht nur überwindet, sondern überzeugt... Im temperamentvollen Finale der Oper sind alle Bewohner des Großen Wasserlandes an der Solidaritätsaktion für das Ohne-Wasser-Land beteiligt, Fuchs und Bienen und ein gewandelter König samt Beratern, dazu ein darüber wieder munterer sprudelndes Flüßchen.

Irgendwann mal war diese Entenstory vielleicht wirklich als Gute-Nacht-Gruß van Veens an den fernen Sohn bestimmt, mitgeteilt per Telefon. So wirkt sie weiter, ein bißchen aufregend, aber zugleich tröstlich und ermutigend durch ihre ehrliche Auseinandersetzung mit den Dingen, durch die Wärme, von der sie lebt, durch jenes überwältigende Gefühl von Zärtlichkeit, das ansteckt. „Ich hab’ ein zärtliches Gefühl / für jede Frau, für jeden Mann / für jeden Menschen, wenn er nur / vollkommen wehrlos lieben kann“, singt van Veen.

Und ist gleich darauf wieder urkomisch, ist Faxenmacher und Weiser, ein Urkomödiant vielleicht, jedenfalls einer, der auf ganz besondere Art nachdenkt über Dasein auf dieser Erde und der abgibt von seiner wachen Hoffnung.
Sechs Abende lang dauert dies Fest im Berliner Ensemble, eine Oper, richtig mit Ouvertüre und „Arien“, Kostümen und all den wunderbaren Vorgängen, die so ein Unternehmen braucht. Da aber van Veen (gemeinsam mit dem langjährigen Freund und Mitarbeiter Erik van der Wurff) nicht nur die Musik geschrieben hat, sondern auch die Texte und natürlich nicht nur als Hauptdarsteller fungiert, sondern auch als Regisseur seiner Geschichte, ist bei allem gebotenen Ernst immer Riesenspaß im Spiel.
Und mit Lust unterbricht der Meister die Szene für Randbemerkungen, aktuelle Kommentare, auch eine Rauferei mit van der Wurff, aus der van Veen, der Zauberer mit Worten, Klängen und Gesten, besiegt und unbesiegbar — wie eben ein Kind — zurückkehrt.



Gisela Hoyer