Friedichshafener Zeitung
Vera Sohmer

Ein leiser Weltverbesserer, aber kein harmloser Clown

Herman van Veen gastierte im Graf-Zeppelin-Haus in Friedrichshafen

24. april 1992

Einen „Weltverbesserer der harmlosen Art“ hat man Herman van Veen schon genannt. Und wie versucht er, die Welt zu verbessern? Auf den ersten Blick ist er einfach Clown, mit zu langen Hosen, die Taschen mit Konfetti gefüllt, tapsig wie ein großes Kind. Er hat die Lacher auf seiner Seite, wenn er Zaubereien präsentiert, bei denen sich nichts ändert, nur sein Gesichtsausdruck. Und wie wunderbar traurig er sein kann, wenn er seine Lieder aus voller Kehle singt. Erinnerungen daran, wie er einst mit seiner großen Liebe nachts im dunklen See schwamm. Das ist so voller Gefühl, daß die Pärchen im Saal des Graf-Zeppelin-Hauses in Friedrichshafen zusammenkuscheln.


Und weil sich mit Tapsigsein und Traurigkeit die Welt kaum verbessern läßt, ist van Veen auch ein bißchen böse. Er beobachtet unsere „nicht ganz so schöne Welt“ scharf, was bei ihm zu einer gehörigen Portion Sarkasmus führt. „Feuer im Krematorium - ein Toter,“ so lauten die Schlagzeilen in seiner Zeitung, die er lustvoll in Fetzen zerreißt. Herman van Veen ist ein leiser Weltverbesserer, aber kein harmloser Clown.

Was für eine Eigenschaft beim clownesken Chansonsänger noch dazukommt: Er hat Phantasie und die Gabe, seine Träume sichtbar und hörbar zu machen. Kinder, die heute schon groß sind, kennen ihn von früher, vom Fernsehen. Da hatte er einen viel zu großen Mantel an, wohnte in einer Windmühle, stieg öfter mal in ein Gemälde hinein, erlebte dort tolle Abenteuer, stieg aus dem Gemälde wieder heraus und trank erst mal eine Tasse Tee. Die meisten Kinder von heute kennen van Veen nicht, aber das Stichwort „Alfred Jodokus Kwak“ reicht: Diese Zeichentrickserie, in der eine fröhlich gebliebende Watschelente in einer nicht ganz so fröhlichen Welt die Hauptrolle spielt, hat der Holländer erfunden.

Wie van Veen Träume inszeniert, erleben die Zuschauer beim SZ-Konzert in Friedrichshafen. Ein wenig verrückt mutet es schon an, wie dieser Clown mit der Stirnglatze und den Schlafpuppenaugen am Mikrophon steht und flüstert, er habe da so einem seltsamen Traum gehabt. Ein ganz klitzekleiner Glöckner in Leipzig sei er gewesen, seine Mutter eine Nonne, sein Vater ein Schiff.
Und dann bekommen die Zuschauer den Traum zu sehen: Kirchenglocken läuten, Sphärenklänge ertönen. Van Veen steuert wie auf Wolken gehend sein Schiff mit weißen Flügeln an, einen waschzubergroßen Hut hat er auf dem Kopf und ist mit einer Jacke bekleidet, deren Ärmel bis fast auf den Boden reichen. Auf dem Schiff findet dieser Winzling ein Ei, so groß wie das von einem Emu. Und wäre der Traum kein Traum, könnte das wunderbare Lied in diesem Ei freigelassen werden. Aber weil der Traum ein Traum ist, bleibt das Lied in der Schale - aus der Traum!

Van Veen scheint seine Freude daran zu haben, den Zuschauern Wechselbäder zu verpassen. Nichts wird ganz ausgespielt, vieles ironisiert. Er hat Miniaturen dabei, die melancholisch sind, zum Kullertränen weinen. Und dann wieder solche, die schrill sind, an der Schmerzgrenze. Bevor das von Erik van der Wurff am Flügel begleitete Lied über die verflossene Liebe allzusehr ins Sentimentale abdriftet, wird es Nard Reijnder mit aufgesetztem und viel zu lautem Saxophonspiel beendet haben.

Van Veen zeigt seinen „American Way of Life“, wenn er Frank Sinatra spielt, dargestellt als Marionette des Showbiz. ,Ein Star, der sogar die Hosen herunterläßt. Prostitution fürs Publikum. Auf die kurzen Momente des „totalen Glücks“ — ausgedrückt durch einen schrillen Schrei, bei dem die Zuschauer zusammenzucken — verweist van Veen auf das Schreckliche im Leben und stirbt sogleich den grauenvollen Tod in Opernmanier, um gleich darauf das Philosophieren anzufangen: „Wie kommt man in den Himmel oder in die Hölle? Mit dem Schiff, das ist klar, aber dann? Und was zieht man bei einer solchen Gelegenheit an?“

Herman van Veen ist Chansonsänger. Vielleicht ist er das in der Hauptsache.
Und vielleicht ist der dann so, wie er wirklich ist. Ganz zum Schluß seines Auftritts — es müßte bei der dritten Zugabe gewesen sein, hinten im Saal herrscht schon Aufbruchstimmung — singt er sogar ein paar ganz alte Lieder (er tut dies wirklich nur für die Zuschauer in Friedrichshafen, die das auch bestimmt niemandem verraten werden). Auch das vom „kleinen Fratz“, der auf seinem Kinderrad vorbeiflitzt.
Da steht er dann in schwarzen Hochwasserhosen, wie ein großer Junge. Und ganz sachte schaukelt dabei der rote Luftballon-Mond auf der Bühne hin und her.



Vera Sohmer