NEUES DEUTSCHLAND
FRANK GERDES

Herman van Veen in der Berliner Hochschule der Künste

Ungeschminkter Clown

24. Maerz 1993

Schwarze Bühne, ein übergroßer Telefonhörer, leuchtende Instrumente. Herein kommt ein fidelnder Geigenspieler mit clownesker Haartracht. In den nächsten drei Stunden wird dieser Mann ein großes Publikum unwiderstehlich in seinen Bann zu ziehen wissen. Herman van Veen gastiert in Berlin.


Das Konzert läßt keinen Zweifel offen: das ist ein Ausnahmekünstler. Van Veen mimt den Magier mit den falschen Kunststückchen und weiß doch das Publikum zu verzaubern. Dabei scheint dieser Mensch alles zu können: schauspielern, singen, spielen, tanzen, mimen, nur eben den geballten Applaus zu ertragen, fällt ihm schwer. Verspielt wie ein Kind nimmt er die Welt mit naiven Augen wahr und kann so Besonderes berichten. Diese Sichtweise eröffnet Überraschendes wie Erschreckendes.

Seine erstaunlichste Leistung ist wohl, wie er seine Philosophie auf unterhaltsame Weise in die Köpfe der Menschen verpflanzt. Die Methode basiert auf einem Balanceakt zwischen Albernem und tiefem Emst. Einem Clown gleich bietet er scheinbar Harmloses, um es im nächsten Augenblick ins Reelle zu kippen. So vom belehrenden Zeigefinger befreit, wird die Aussage durch Humor, wenn mitunter auch recht schwarzen, vermittelt. Das Lachen bleibt im Halse stecken, die hohe Schule des Nonsens beweist ihre raffinierte Wirkung.

Mit den reichlich existierenden Klischees um seine Person räumt van Veen in den Konzerten gründlich auf. Die Witze und Anspielungen machen vor der Gürtellinie nicht halt, ohne jedoch unnatürlich zu wirken. Auffällig sein Hang zur Parodie. Ob nun Oper oder Rock, Free Jazz oder Schlager, alles kommt unter den Hammer und wird verhohnepipelt. Durch diese komischen Seiten des Entertainers rutscht das Programm nicht ins Sentimentale ab, gibt andererseits aber auch seine Sensibilität nicht preis.

Das Konzept, Schauspielerei, Musik und Tanz spielerisch zu einem Ganzen zu verschmelzen, geht auf. Im Mittelpunkt des amüsanten Spektakels steht die Kraft der Musik. Zwei sich ideal ergänzende Multiinstrumentalisten begleiten den Sänger und stehen auch sonst fest an seiner Seite.

Das Publikum war sichtlich hingerissen von diesem Spiel der Gefühle, denn wie sonst ließe es sich seinen Applaus zum Abschluß von van Veen förmlich dirigieren. Für ein paar Stunden war die Welt voller Poesie und lag ganz in der Hand eines ungeschminkten Clowns.



FRANK GERDES